So stärken Gemeinden die politische und soziale Teilhabe

18.06.2021
6 | 2021

Im Rückblick auf die Erfahrungen des Schweizerischen Gemeindeverbandes (SGV) und der vier Pilotgemeinden, die in den letzten fünf Jahren am Projekt «in comune» teilgenommen haben, ziehen die Projektverantwortlichen ein positives Fazit.

Wie kann die politische und soziale Teilhabe der Bevölkerung am Leben ihrer Gemeinde gefördert und gestärkt werden? Diese Frage leitete die Arbeit des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV) und der vier Pilotgemeinden im Rahmen des Projekts «in comune», das durch das Programm «Citoyenneté» der Eidgenössischen Kommission für Migration (EKM) finanziert wurde. Der SGV begleitete die vier Gemeinden bei der Entwicklung, Umsetzung und Evaluierung von partizipativen Projekten, die mit den finanziellen Mitteln aus dem «in comune»-Fonds durchgeführt wurden. Insgesamt wurden zwölf Projekte in den Gemeinden Bühler (AR), Bussigny (VD), Chippis (VS) und Mendrisio (TI) umgesetzt.

Bühler und Bussigny: gut begonnen ...

... ist halb gewonnen! Dieser Ausdruck passt gut zum Start des Projekts «in comune». In den ersten beiden beteiligten Gemeinden sind die Erfahrungen mehr als positiv. In beiden Gemeinden wurden die Projekte von der Bevölkerung gut angenommen, und viele Freiwillige haben an den verschiedenen Aktivitäten teilgenommen. Die Gemeinde Bühler im Appenzeller Mittelland hat Projekte für alle Generationen entwickelt - eine Veranstaltung für die in der Gemeinde lebenden Rentnerinnen und Rentner, einen Treffpunkt für junge Leute und einen Karaoke-Abend für alle Altersgruppen. In Bussigny, am Stadtrand von Lausanne gelegen, konzentrierte man sich auf das Quartier südlich des Bahnhofs, das vom sozialen Leben des Dorfes etwas «abgehängt» war. Die Einrichtung von «urban gardening» an einigen öffentlichen Plätzen, die Organisation eines Weihnachtsumzugs, einer Kinderfasnacht, eines gemeinsamen Essens sowie eines CleanUp-Days wurden von der Bevölkerung so sehr geschätzt, dass diese Veranstaltungen auch in den Folgejahren organisiert worden sind.

Chippis: Kinder und Jugendliche einbeziehen

In Chippis, einem Walliser Dorf mit etwa 1700 Einwohnern in der Nähe von Sitten, wurden zwei Projekte entwickelt. Der von der Gemeinde festgestellte Nachholbedarf bei der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen führte zur Entwicklung des «Jugendprojekts». Dank einer Onlineumfrage, gefolgt von Treffen mit jungen Menschen in der Gemeinde, entstand die Idee, einen Jugendverein mit aktiver Beteiligung der Jugendlichen zu gründen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie hat der Ende 2019 gegründete Verein leider noch nicht richtig starten können. Die Arbeiten liegen derzeit auf Eis, aber es ist alles vorbereitet für ein interessantes Programm für junge Leute, sobald es die Situation erlaubt. Durch die Entwicklung eines partizipativen Projekts mit jungen Menschen wollte die Stadtverwaltung indirekt auch deren staatsbürgerliche Bildung fördern. Martine Perruchoud, Leiterin der Abteilung Bildung, Jugend und Ausbildung sowie Kultur, Freizeit und Sport, erklärt, dass das übergeordnete Ziel der Gemeinde mit diesem Projekt die Förderung der Integration und der staatsbürgerlichen Bildung dieser Altersgruppe ist. Mit dem «Kabinenprojekt» konnte die Gemeinde zwei alte Telefonzellen in eine Spielekiste und eine kleine Bibliothek umwandeln, die seit ihrer Eröffnung von der Bevölkerung geschätzt und genutzt werden. Begleitet von Evelyne Emery, einer soziokulturellen Animateurin, konnten die Kinder bei der Dekoration der Spielekiste mitwirken und wurden für den richtigen Umgang mit ihr sensibilisiert.

Mendrisio: Jungen Menschen Raum geben

In Mendrisio wurde beschlossen, ein Projekt für und mit jungen Menschen im Alter von 14 bis 19 Jahren zu entwickeln. Die Stadt im Südtessin hat heute zehn Stadtteile und über 15500 Einwohnerinnen und Einwohner. Von Anfang an wollte sich die Stadtverwaltung auf das Thema Begegnung und Inklusion konzentrieren und ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Jugendzentrum, das seit vielen Jahren aktiv ist, entwickeln. Im Februar 2020 wurden Jugendliche eingeladen, am Projekt «Racconta la tua Mendrisio in un progetto video»  (Erzähle von deinem Mendrisio in einem Videoprojekt) teilzunehmen und Videos zu drehen, die ihre Stadt und ihren Alltag beschreiben. Nach einer langen Pause aufgrund der Coronapandemie konnten einige junge Leute endlich ihre Videos drehen. Im Herbst wurde mit Unterstützung eines Studios in der Region ein Kurzfilm mit dem Titel «Riprendo il mio diritto. La città a modo mio» gedreht, auf Deutsch: «Ich hole mir mein Recht zurück. Die Stadt auf meine Art». Luca De Stefano, Leiter des Jugendzentrums Mendrisio, der mit den Jugendlichen an dem Projekt gearbeitet hat, beschreibt das Ergebnis als eine «Botschaft mit Sinn». Die Jugendlichen zeigen, wie sie die Räume der Stadt leben und bewohnen und veranschaulichen so ihre Wahrnehmung des öffentlichen Raums. «Das entstandene Video ist ein authentisches Dokument, das zeigt, wie Mädchen und Jungen dem öffentlichen Raum Bedeutung verleihen. Sie erleben ihn und interpretieren ihn oft auf eine andere und persönliche Weise als die Funktion, für die er entworfen wurde», erklärt Luca De Stefano. Die Stadt Mendrisio hofft, dass das Video im Rahmen von Raumplanungsprojekten auch anderen Gemeinden als Beispiel dienen kann.

Sozialer Zusammenhalt als Hauptziel

Der Wille, am Thema Partizipation zu arbeiten, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken, ist in den vier Gemeinden, die am Projekt teilgenommen haben, deutlich geworden. Trotz den Unterschieden zielen die ausgewählten Projekte darauf ab, der Bevölkerung Möglichkeiten zur Begegnung und zum Austausch zu bieten und den Dialog zwischen Bürgern und Behörden zu verbessern. Die Einschätzung des SGV-Projektteams und der zuständigen Behörden in den vier Gemeinden ist positiv. Allerdings gab es auch einige Schwierigkeiten, die vor allem darauf zurückzuführen waren, dass die Umsetzung der einzelnen Projekte länger dauerte als erwartet. Die anfänglichen Erwartungen, dass den Pilotgemeinden relativ schnell weitere Gemeinden folgen würden, denen CHA eine Art gezielter Beratung anbieten könnte, haben sich nicht erfüllt. Im vergangenen Jahr hat der durch die Notsituation geschaffene Kontext, insbesondere die Einstellung der Freizeitaktivitäten, die Gemeinden Chippis und Mendrisio daran gehindert, ihre Projekte wie ursprünglich geplant zu entwickeln.

«Demokratie ist darauf angewiesen, dass der gesamten Bevölkerung Möglichkeiten der politischen Teilhabe offenstehen.»

Élodie Morand, Programm Verantwortliche des Programms «Citoyenneté» der Eidgenössische Migrationskommission

Partizipation als Mehrwert

Mit dem fünfjährigen Projekt «in comune» konnte sich der SGV auf das Thema Partizipation auf kommunaler Ebene konzentrieren. Eine grosse Chance, um eng mit den Gemeinden zusammenarbeiten und ihre tatsächlichen Bedürfnisse in diesem Bereich zu erkennen. Die unterschiedlichen geografischen und sprachlichen Gegebenheiten unseres Landes machen die Gestaltung und Entwicklung von Beteiligungsprojekten noch interessanter. Wenn es um die Beteiligung der Bevölkerung geht, gibt es keine Barrieren - weder in Bezug auf Sprache, Geografie, Alter noch auf Herkunft. Dem schliesst sich auch Élodie Morand, Leiterin des Programms «Citoyenneté», an: «Demokratie ist darauf angewiesen, dass der gesamten Bevölkerung Möglichkeiten der politischen Teilhabe offenstehen.»  Das Projekt ist zwar abgeschlossen, das Thema Partizipation bleibt für den SGV aber wichtig. In der Tat ist die Beteiligung der Bevölkerung ein grundlegendes Element einer funktionierenden Gesellschaft. Das Milizsystem, eine der Säulen der Schweizer Politik, beruht auf dem persönlichen Willen von Zehntausenden von Menschen, neben ihrer beruflichen und familiären Tätigkeit eine öffentliche Funktion im Interesse des Gemeinwohls auszuüben. Die Einbindung der Bevölkerung in die lokale Planung und Entwicklung durch partizipative Prozesse, die neue Ideen und gemeinsame Entscheidungen hervorbringen können, bietet auch einen Mehrwert, wenn es um die Akzeptanz von Projeken geht. Kurz, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am (politischen) Leben ist auf allen institutionellen Ebenen unerlässlich. Und genau aus diesem Grund wird der SGV weiter an diesem Thema arbeiten.

Das Projekt «in comune»

Das Projekt «in comune», das die politische und gesellschaftliche Teilhabe der Bevölkerung auf kommunaler Ebene fördern und stärken will, wurde vom Programm «Citoyenneté- austauschen, gestalten, entscheiden» der Eidgenössischen Migrationskommission unterstützt. Das Programm unterstützt Projekte, die neue Formen der Partizipation entwickeln und fördern; besonderer Wert wird dabei auf die Einbeziehung von Bevölkerungsgruppen gelegt, die am politischen Leben im engeren Sinne nicht teilnehmen können. Das Projekt «in comune» startete 2016 und endete im Dezember 2020. Neben der Unterstützung der Pilotgemeinden hat der SGV eine Online-Plattform für die Beteiligung auf kommunaler Ebene entwickelt: www.in-comune.ch.

Anna Celio-Panzeri und Luisa Tringale
Übersetzung: Denise Lachat