
Abfallvermeidung statt Müllflut: Warum Recycling allein nicht genügt
Die Schweiz produziert jährlich 80 bis 90 Millionen Tonnen Abfall. Für den Umgang mit den Rückständen unseres Konsums etabliert sich die Abfallvermeidung neben Abfallmanagement und Recycling als weitere Handlungsalternative im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung. Jennifer Zimmermann ist Leiterin Gemeindeangebote und Erwachsenenbildung bei Pusch. Sie leitet am Forum Nachhaltige Entwicklung einen Workshop zu den Möglichkeiten der Gemeinden, zur Abfallvermeidung beizutragen.
Das diesjährige Forum Nachhaltige Entwicklung beschäftigt sich intensiv mit den Themen Abfall und Recycling (siehe Kasten). Ein wichtiges Puzzleteil ist dabei die Abfallvermeidung: Abfall, der gar nicht erst entsteht, muss auch nicht entsorgt oder recycelt werden. Jennifer Zimmermann beschäftigt sich seit Längerem mit dem Thema in ihrer Tätigkeit für die Stiftung Pusch, wo sie die Gemeindeangebote sowie die Erwachsenenbildung leitet. Am Forum Nachhaltige Entwicklung wird sie einen Workshop für Gemeinden zum Thema Abfallvermeidung leiten. Im Interview gibt sie Einblick ins Thema:
Jennifer Zimmermann, warum ist Abfallvermeidung heute wichtiger denn je?
Abfallvermeidung ist heute wichtiger denn je, weil unser Ressourcenverbrauch die Belastungsgrenzen unseres Planeten weit überschreitet. Seit 1970 hat sich die globale Rohstoffgewinnung um das 3,5-Fache erhöht, und wenn alle so leben würden wie in der Schweiz, bräuchten wir drei Erden, um unseren Bedarf zu decken. Bereits sechs von neun planetaren Grenzen sind zum Teil massiv überschritten. Jeder zusätzliche Verbrauch primärer Ressourcen erhöht den CO₂-Ausstoss und drängt die Biodiversität weiter zurück.
Die Schweiz wird oft als Recyclingweltmeisterin betitelt. Reicht dies allein denn nicht aus?
Nein, Recycling allein reicht nicht aus. Zwar werden in der Schweiz 52 Prozent der Siedlungsabfälle verwertet, dennoch landen jedes Jahr 2,9 Millionen Tonnen in der Verbrennung. Trotz vorbildlicher Recyclingquoten gehört die Schweiz beim Ressourcenverbrauch und bei der Abfallmenge zu den Spitzenreitern in Europa – ein Fakt, der oft unterschätzt wird. Um unseren ökologischen Fussabdruck wirklich zu reduzieren, müssen wir mehr tun: bewusster konsumieren, nur das kaufen, was wirklich nötig ist, Produkte so lange wie möglich im Kreislauf halten und verstärkt Sekundärrohstoffe nutzen.
Welche Fehlanreize bestehen aktuell, die einer effektiven Abfallvermeidung entgegenstehen?
Aktuell gibt es mehrere Fehlanreize, die einer effektiven Abfallvermeidung entgegenstehen. Oft fehlt ein einfacher und kostengünstiger Zugang zu Reparaturen und Ersatzteilen. Zudem sind unsere Abfallstrukturen weiterhin stark auf Recycling ausgerichtet, während noch immer grosse Mengen an brauchbaren Produkten und wertvollen Rohstoffen verbrannt werden oder in Deponien landen. Auch die Nutzung von Secondhandprodukten und Sekundärrohstoffen ist noch zu gering, obwohl sie eine zentrale Rolle in der Kreislaufwirtschaft spielen.
Welche Massnahmen können Gemeinden treffen, um die Abfallmenge wirkungsvoll zu reduzieren?
Gemeinden können auf zwei Ebenen zur Abfallreduktion beitragen: durch Abfallvermeidung im eigenen Betrieb und durch die Schaffung von Strukturen und Anreizen für Unternehmen und die Bevölkerung.
Im eigenen Betrieb spielt eine kreislauffähige Beschaffung eine zentrale Rolle. Gemeinden sollten sich stets fragen, ob ein Neukauf oder Neubau wirklich nötig ist – oder ob Reparieren, Renovieren, Leihen oder Mieten eine Alternative darstellt. Besonders im Bauwesen ist es essenziell, Renovationen und Sanierungen gegenüber Neubauten zu bevorzugen und möglichst Sekundärbaustoffe zu verwenden. Zudem tragen moderne Abfallanlagen mit effizienter Sortierung dazu bei, wertvolle Rohstoffe zurückzugewinnen und im Kreislauf zu halten. Für die Bevölkerung sind Sensibilisierung und praktische Angebote entscheidend. Repair-Cafés, Flohmärkte und Tausch- und Leihplattformen fördern die Wiederverwendung und reduzieren Abfall direkt. Pusch bietet regelmässig Weiterbildungen zum Thema Abfallvermeidung für Gemeinden an.

Forum Nachhaltige Entwicklung zum Thema Abfallbewirtschaftung
Am kommenden Forum Nachhaltige Entwicklung richten wir den Blick auf konkrete Herausforderungen und innovative Lösungsansätze in den Bereichen Abfallbewirtschaftung, -vermeidung und Recycling auf lokaler Ebene. Seien Sie dabei am Montag, 26. Mai 2025, in der Eventfabrik in Bern.