Das seit Ende 2020 betriebene Solarfaltdach über den Klärbecken deckt in der ARA Bassersdorf (ZH) rund einen Drittel des Strombedarfs ab.

ARA Bassersdorf: Die Kläranlage kann auch ein Kraftwerk sein

08.06.2024
6 | 2024

Das primäre Ziel einer Kläranlage besteht darin, das über die Kanalisation zufliessende Abwasser so zu reinigen, dass möglichst wenig Schadstoffe in die Gewässer gelangen. Dies erfordert mehrstufige Klärverfahren mit einem erheblichen Strombedarf. Wie das Beispiel der mittelgrossen ARA Bassersdorf im Nordosten von Zürich zeigt, können Kläranlagen einen Grossteil der benötigten Energie mit innovativen Massnahmen selbst produzieren.

Wenn die Sonne scheint, ist das Markenzeichen der Abwasserreinigungsanlage (ARA) Eich im Süden von Bassersdorf (ZH) schon von Weitem zu erkennen. Auf einer Fläche von 3423 Quadratmetern überdecken 1024 Solarmodule in gut vier Metern Höhe die zwei betonierten Becken zur biologischen Reinigung des Abwassers. Ihre seitlichen Beckenkronen dienen als Fundament für die tragende Metallkonstruktion.

Drohen Hagel, Schnee oder heftiger Wind, werden die an Stahlseilen befestigten Panels von Motoren eingefahren und wie eine überdimensionierte Handorgel zusammengefaltet. Die Auslösung dieser Sicherheitsmassnahme erfolgt vollautomatisch, denn das System ist direkt mit dem nationalen Wetterdienst MeteoSchweiz verbunden.

Ein inneres Feuer für den Beruf

Der Bau der innovativen Solaranlage geht auf eine Initiative des langjährigen Klärwerkmeisters Patrick Sonderegger zurück. Nach 28 Jahren als Betriebschef hat der Mittfünfziger inzwischen mehr als sein halbes Leben auf der ARA Eich verbracht. Doch von lähmender Routine, die blind machen kann für neue Ideen, ist bei ihm nichts zu spüren. Die Inspiration für das Solarfaltdach, das mit einer Jahresproduktion von 330 000 Kilowattstunden (kWh) rund einen Drittel des gesamten Strombedarfs der ARA erzeugt, holte er sich im bündnerischen Chur. Hier realisierte ein junges Team vor einigen Jahren die weltweit erste Solaranlage über den biologischen Becken einer Kläranlage.

Das Ende 2020 in Betrieb genommene Solarfaltdach zahlt sich in Bassersdorf auch finanziell aus. Bei Investitionskosten von 1,15 Millionen Franken, die der Bund mit knapp zehn Prozent subventionierte, und Preisen von 30 Rappen pro kWh für den eingekauften Strom lässt sich das Projekt etwa innert zehn Jahren amortisieren.

Viel Strom im Umfang von 380 000 kWh pro Jahr liefert auch das 2023 komplett erneuerte Blockheizkraftwerk (BHKW). Es wird mit Methangas aus der Klärschlammfaulung betrieben. Seine Abwärme dient unter anderem dazu, die Betriebsgebäude der ARA zu heizen. Um die Methanausbeute zu steigern und den Ausstoss dieses Treibhausgases in die Atmosphäre zu reduzieren, sind auf dem ARA-Gelände in Bassersdorf eine Abdeckung des Nachfaulraums und ein zweiter Gasspeicher im Gespräch. Diese klimaschonende Massnahme wird von der Stiftung Klimaschutz und CO2-Kompensation (KliK) finanziell gefördert.

Zusammen mit der Solaranlage beläuft sich die Eigenproduktion der ARA auf fast 70 Prozent des Strombedarfs. Weil über den Vorklärbecken, dem Sand- und Fettfang sowie dem Feinrechengebäude noch erhebliche ungenutzte Flächen bestehen, ist Patrick Sonderegger überzeugt, dass die ARA Bassersdorf bei einem Ausbau des Solarfaltdachs und der Erweiterung durch einen zweiten Gasspeicher künftig gleich viel Strom produzieren könnte, wie sie selbst benötigt.

Das Abwasser möglichst gut reinigen

Die vordringliche Funktion einer Kläranlage ist allerdings nicht die Stromproduktion, sondern eine effiziente und gesetzeskonforme Reinigung des Abwassers, damit möglichst wenig Schmutz- und Nährstoffe in die Gewässer gelangen. Von Bassersdorf aus fliesst das in den Drainagegraben des Mattenbachs eingeleitete Abwasser via Altbach, Chriesbach, Glatt und Rhein schliesslich der Nordsee zu.

«Damit wasserbelastende Substanzen bei intensiven Niederschlägen nicht ungeklärt in die Fliessgewässer gelangen, ist vor allem die gezielte Bewirtschaftung der im letzten Jahrzehnt ausgebauten Regenbecken wichtig», erklärt Patrick Sonderegger. Wenn es im Einzugsgebiet heftig regnet, füllen sich die zwei je 1000 Kubikmeter Abwasser fassenden Regenbecken auf dem ARA-Gelände innert 40 Minuten. Um diesen ersten Schmutzstoss bei Trockenwetter wieder abzubauen und die Becken leer zu pumpen, braucht es dagegen rund 20 Stunden. Weitere Rückhaltebecken mit einem Gesamtvolumen von 1500 Kubikmetern gibt es auch in den angeschlossenen Gemeinden. Über Drosselschieber lassen sie sich von der ARA aus autonom steuern und bewirtschaften.

Der bedarfsgerechte Einsatz der Betriebsmittel orientiert sich an der jeweiligen Belastung des zufliessenden Abwassers. Der darin enthaltene Stickstoff wird in Bassersdorf zu rund 70 Prozent und das Phosphat zu nahezu 90 Prozent zurückgehalten, wobei sich die Stickstoffelimination durch weitere Betriebsoptimierungen noch etwas steigern liesse. Während der Nährstoff Phosphat chemisch ausgefällt wird und im Klärschlamm landet, entweicht der Stickstoff über die Umwandlung von Ammonium in Nitrat (Nitrifikation) und dessen Abbau (Denitrifikation) zu elementarem Stickstoff schliesslich in die Luft. Pro Jahr fallen gut 300 Tonnen entwässerter Klärschlamm an, der in einer Monoverbrennungsanlage des grossen Zürcher Klärwerks Werdhölzli energetisch genutzt wird. Hier ist künftig auch eine Rückgewinnung des Phosphors geplant. Einer nahe gelegenen Siedlung in Dietlikon (ZH) dient zusätzlich auch die Abwärme des gereinigten Abwassers als Energiequelle.

Vierte Reinigungsstufe mit Ozon

Die ARA Bassersdorf leitet ihr gereinigtes Abwasser in einen kleinen Bach. Aufgrund der seit Anfang 2016 geltenden gesetzlichen Vorgaben muss sie auch organische Mikroverunreinigungen – wie Rückstände von Medikamenten oder Reinigungsmitteln – aus dem Abwasser entfernen. Dies geschieht seit 2018 mit einer der schweizweit ersten Ozonanlagen, die das reaktive Gas aus flüssigem Sauerstoff herstellen. Bei einer fortlaufenden Optimierung des Verfahrens erreicht man mit dieser vierten Reinigungsstufe eine zuverlässige und gesetzeskonforme Eliminationsleistung, wobei der zusätzliche Stromverbrauch rund zehn Prozent beträgt. Von den praktischen Erfahrungen profitieren auch weitere mittelgrosse ARA.

Steckbrief der ARA Eich 

Die 1974 in Betrieb genommene ARA Eich in Bassersdorf reinigt das Abwasser der drei Gemeinden Lindau, Nürensdorf und Bassersdorf im Zürcher Unterland, die dazu seit dem Jahr 2000 einen Zweckverband bilden. Bei einer Ausbaugrösse von 28 000 Einwohnerwerten (EW) waren der ARA 2022 rund 21 500 EW angeschlossen. Der Trockenwetteranfall schwankt um 6000 Kubikmeter Abwasser pro Tag. 

Branchenporträt Siedlungsentwässerung

Die Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute setzen sich täglich für saubere Gewässer und hygienische Bedingungen in Siedlungen ein: Regenwasser managen, Abwasser sammeln, ableiten und reinigen. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag für die Gesundheit, die Basis für Wirtschaft und Wohlstand.

Die Website wasserbranche.ch gibt Einblick in die Leistungen der Siedlungsentwässerung:

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•        Tipps für gewässerschonende Sanierungsarbeiten im Haus

Paul Sicher, Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute

Beat Jordi
Freier Journalist