Das gggfon führt auch Workshops durch, zum Beispiel zum Thema Zivilcourage.

Berner Gemeinden packen Gewaltprävention gemeinsam an

10.06.2022
6 | 2022

Das gggfon – kurz für «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus» – ist in den letzten 20 Jahren zur Institution im Raum Bern geworden. Die Beratungsstelle wird von 40 Gemeinden mitgetragen.

Einem jungen Mann wird wegen seiner dunklen Hautfarbe der Einlass in eine Disco verweigert. Eine Familie erhält eine Wohnung nicht, weil sie aus dem Ausland stammt. Eine Jugendgruppe trifft sich regelmässig auf einem öffentlichen Platz, es kommt zu einem Nutzungskonflikt mit verärgerten Anwohnenden. Eine Frau wird von einem Nachbarn rassistisch beschimpft.

Das sind alles fiktive Beispiele, die aber so oder ähnlich bei der Beratungs- und Informationsstelle gggfon landen könnten. Die Abkürzung steht für «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus», «fon» verweist auf die Hotline, als die das gggfon bei seiner Gründung im Jahr 2000 ursprünglich angedacht war. Heute spielen Telefonnummer und Mailadresse für die Meldung rassistischer Vorfälle oder von Konflikten im öffentlichen Raum noch immer eine wichtige Rolle. Hinzu kommen eine umfassende Beratung, Sensibilisierungsarbeit, Workshops, Kurse, die Moderation von runden Tischen für Behörden, Vereine und Schulen, Mediationen und weitere Angebote. 

Rund 40 Gemeinden aus dem Grossraum Bern, Burgdorf und Biel tragen das Projekt gemeinsam und können kostenlos und niederschwellig von den Beratungsdienstleistungen Gebrauch machen, wie Giorgio Andreoli erklärt, Leiter der Fachstelle und seit der Gründung mit dabei.

Angespannte Stimmung

Das gggfon geht auf eine Initiative aus Münchenbuchsee zurück. Es war im Frühling des Jahres 2000, als in der Berner Gemeinde eine Naziskin-Gruppe mehrere Übergriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund verübte. Andere Jugendgruppen trafen sich auf dem Bahnhofplatz, was zu Nutzungskonflikten mit Anwohnenden führte. «Die Stimmung war angespannt», beschreibt Giorgio Andreoli die Situation. Und nicht nur in Münchenbuchsee: Am 1. August störten Rechtsextreme die Bundesfeier auf dem Rütli, im Nationalrat gab es einen Vorstoss zum Thema Rechtsextremismus und Rassismus.

Die Gemeinde Münchenbuchsee fragte Giorgio Andreoli an, ein Konzept zu entwickeln. So entstand die Idee der Hotline gggfon. «Wir wollten möglichst nahe an der Bevölkerung sein und ein möglichst einfaches Angebot auf die Beine stellen.» Ziel sei es nicht nur gewesen, dass Betroffene Vorfälle melden konnten, sondern auch in der Bevölkerung Zivilcourage aufzubauen. Die Meldungen beim gggfon erlaubten es, auf mehrere Vorfälle zu reagieren und Verbesserungen zu erzielen. 

«Wir wollten möglichst nahe an der Bevölkerung sein und ein möglichst einfaches Angebot auf die Beine stellen.»

Giorgio Andreoli, Leiter gggfon

Über Gemeindegrenze hinaus

«Wir haben aber bald gemerkt, dass die Problematik an den Gemeindegrenzen nicht haltmacht», erzählt Giorgio Andreoli. Bald gingen Meldungen aus anderen Gemeinden beim gggfon ein. 2002 wurde das gggfon deshalb regionalisiert. 25 der 26 Mitgliedergemeinden des damaligen Vereins Region Bern, der heutigen Regionalkonferenz Bern Mittelland, schlossen sich an. 

Als 2015 das neue Integrationsgesetz des Kantons Bern in Kraft trat, erhielt das gggfon einen kantonalen Auftrag mittels einer Leistungsvereinbarung zur Beratung von Privatpersonen. Heute funktioniert die Trägerschaft der 40 Mitgliedergemeinden losgelöst von der Regionalkonferenz Bern Mittelland. Die Projektleitung liegt beim Verein für soziale und kulturelle Arbeit Bern (Juko); Sitzgemeinde des gggfon ist Meikirch, die unter anderem das Sekretariat führt.

Unterstützung von der Politik

Lela Gautschi Siegrist ist Vizegemeindepräsidentin von Meikirch und Vorsitzende der Begleitgruppe des gggfon. In der Begleitgruppe sitzen verschiedene Gemeindevertreterinnen und Gemeindevertreter. «Das Bewusstsein und die Unterstützung der Politik für das gggfon sind sehr gross, und zwar in sämtlichen politischen Lagern», sagt sie. Die Gemeinden schliessen jeweils für vier Jahre eine Leistungsvereinbarung mit dem gggfon ab. «Alle vier Jahre verpflichten sich also rund 40 Gemeinden in der Region Bern bewusst, sich gegen Gewalt und Rassismus einzusetzen.»

«Das Bewusstsein und die Unterstützung der Politik für das gggfon sind sehr gross, und zwar in sämtlichen politischen Lagern.»

Lela Gautschi Siegrist, Vizegemeindepräsidentin Meikirch und Vorsitzende der Begleitgruppe gggfon

Sie ist überzeugt, dass das gggfon bei der Sensibilisierung für Gewalt- und Rassismusproblematiken einen starken Beitrag leistet, bei den Behördenmitgliedern, in den Verwaltungen, aber auch in der Bevölkerung. «Das Angebot ist sehr niederschwellig.» Wenn es zum Beispiel an einer Schule ein Problem mit Mobbing gebe, so sei der Kontakt zum gggfon für eine Beratung rasch hergestellt.

Auch Giorgio Andreoli schätzt die Rolle der Gemeinden für die Sensibilisierung sehr hoch ein. Der Kampf gegen den Rassismus sei ein Prozess, bei dem die ganze Bevölkerung miteinbezogen werden müsse und der Zeit brauche. «Es geht nicht nur um strukturelle Veränderungen. Es geht darum, dass sich im Kopf und in den Herzen der Menschen etwas ändert.»

Grosse Bandbreite an Themen

Die Themen, mit denen die Menschen an das gggfon gelangen, sind heute breit gelagert. Die Beratungs- und Informationsstelle pflegt enge Beziehungen zu Sozialdiensten, weiteren Institutionen und Fachstellen. «Im Bereich Gewalt gegen Frauen beispielsweise gibt es spezialisiertere Stellen als uns. Wenn wir Anfragen zu dem Thema erhalten, verweisen wir die Menschen weiter und versuchen, sie so weit zu begleiten, dass die Kontaktaufnahme dann auch tatsächlich stattfindet», sagt Giorgio Andreoli. Denn gerade bei Fällen häuslicher Gewalt brauche es für die Betroffenen viel Mut, um sich Hilfe zu holen.

Jedes Jahr macht das gggfon eine Auswertung der Meldungen. Diese ermöglicht es, Tendenzen frühzeitig zu erkennen. «Wir beobachten zum Beispiel seit rund vier Jahren, dass der Rechtsextremismus wieder zunimmt», sagt Giorgio Andreoli. Das ginge aus Meldungen von Bürgerinnen und Bürgern, Eltern und Schulen hervor. Dieses Monitoring erlaube es, frühzeitig zu reagieren und Projekte auf die Beine zu stellen. 

«Das gggfon ist mittlerweile etabliert. Die Leute wissen, wo sie sich melden müssen, und tun das auch», sagt Giorgio Andreoli. Das zeige sich unter anderem daran, dass im Kanton Bern mehr Vorfälle gemeldet werden als in anderen Kantonen.

Zahlen und Fakten zum gggfon

Im Jahr 2021 registrierte das gggfon 414 Kontaktaufnahmen. In 188 Fällen handelte es sich um Meldungen von Vorfällen im Bereich Diskriminierungsschutz. Am häufigsten, nämlich in 79 Fällen, ging es um Benachteiligung; in 55 Fällen handelte es sich um Beschimpfungen. 2020 registrierte das gggfon 170 Meldungen, im Jahr 2019 185 Meldungen. Rund 40 Gemeinden unterstützen das gggfon, nämlich: Allmendingen, Bätterkinden, Belp, Bern, Biel/Bienne, Bolligen, Bremgarten, Brenzikofen, Burgdorf, Fraubrunnen, Frauenkappelen, Gerzensee, Heimiswil, Hellsau, Hindelbank, Höchstetten, Ittigen, Jegenstorf, Kehrsatz, Kirchberg, Kirchlindach, Köniz, Krauchthal, Meikirch, Moosseedorf, Mühleberg, Münchenbuchsee, Niederhünigen, Oberdiessbach, Riggisberg, Rüschegg, Spiez, Stettlen, Toffen, Urtenen-Schönbühl, Wald (BE), Wiler b. Utzenstorf, Wohlen, Zollikofen.

Istanbul-Konvention

Die Istanbul-Konvention ist ein umfassendes, internationales Übereinkommen, das die Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zum Ziel hat. Die Eckpfeiler des Übereinkommens sind die Bereiche Gewaltprävention, Opferschutz, Strafverfolgung sowie ein umfassendes und koordiniertes Vorgehen (Integrated Policies). Die Schweiz unterzeichnete das Übereinkommen 2013. Fünf Jahre später trat es – nach einem langen Vernehmlassungsverfahren – für die Schweiz in Kraft. Für die Umsetzung der Konvention ist das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann zuständig. Dieses ist auch mit der Erarbeitung eines nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der Konvention beauftragt. Der Aktionsplan soll noch in diesem Quartal in Kraft treten.

Weitere Informationen zum Aktionsplan zur Umsetzung der Istanbul-Konvention.

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