Die Dörfer im Centovalli sind hübsch, kämpfen aber mit der Abwanderung.

Das Centovalli und sein Masterplan für eine nachhaltige Entwicklung

11.04.2023
4 l 2023

Der Masterplan im Tessiner Centovalli fördert die soziokulturelle Entwicklung in der peripheren Region. Zahlreiche Projekte wurden bereits umgesetzt. Doch es bleibt noch viel zu tun.

Die peripher gelegenen Talregionen im Tessin leiden unter einem konstanten Rückgang an Einwohnerinnen und Einwohnern. Die Gemeinde Centovalli bildet da keine Ausnahme. «In zehn Jahren haben wir 80 Einwohner verloren, das sind etwa 7 Prozent unserer Bevölkerung», sagt Gemeindeschreiber Axel Benzonelli, den wir in Intragna treffen. Die Geburtenbilanz ist seit Jahren negativ. Nach der Fusion von Intragna mit Palagnedra und Borgnone im Jahr 2009 hatte die Gemeinde Centovalli rund 1200 Einwohner, jetzt sind es nur noch 1120. Mit dem Rückgang einher geht ein kontinuierlicher Anstieg des Durchschnittsalters. 40 Prozent der Bevölkerung sind über 60 Jahre alt.

Eines der Ziele des Masterplans Centovalli ist es, diesen Trend umzukehren. Unter dem strategischen Ziel «Leben im Centovalli» finden sich nachhaltige und dauerhafte Strategien, um die Attraktivität der Gemeinde als Wohn- und Arbeitsort zu steigern. «Wenn nur zwei junge Familien mit Kindern pro Jahr neu zuziehen würden, wäre das schon ein Erfolg», sagt Benzonelli.

Rund 130 Projekte

Die Ursprünge des Masterplans liegen in der Neuen Regionalpolitik des Bundes (NRP), die Anfang 2008 in Kraft getreten ist und das alte Bundesgesetz über Investitionshilfen in Berggebieten (LIM) ersetzt hat. Für die Umsetzung sind die Kantone zuständig, die ein Achtjahresprogramm erarbeiten. Im Rahmen seines Umsetzungsprogramms hat der Kanton Tessin eine Reihe von Massnahmen zur Neupositionierung der Randgebiete ausgearbeitet, darunter jeweils einen lokalen Entwicklungsplan, den sogenannten Masterplan. Die Gemeinde Centovalli ist der Projektträger des Masterplans Centovalli. Die konkrete Umsetzung ist der «Ente Autonomo Centovalli» anvertraut.

Im März 2020 begann die Umsetzung. «Rund 130 Projekte sind derzeit im Masterplan Centovalli enthalten», erklärt Koordinatorin Ottavia Bosello. Sie zählt einige Initiativen auf, die bereits verwirklicht wurden: den touristischen Info-Point an der zentralen Piazza von Intragna, die Schaukeln «Swing the World», den Centovalli-Energie-Weg, die Instandsetzung der Mehrzweckhalle von Intragna-Golino, die gemeinsame Veranstaltungsplattform der Region (www.agendaeventi.ch), die Sitzbänke für Mitfahrgelegenheiten, den Rundweg Tenero–Centovalli–Locarno/Tenero. Letzterer sieht einen Shuttlebus vor, der während der Tourismussaison von Tenero aus Wanderer nach Porera (oberhalb von Ronco s/Ascona) bringt, um ihnen eine Höhenwanderung und die Rückkehr zum Ausgangspunkt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ermöglichen (Seilbahn Verdasio–Rasa und Centovallina-Bahn).

Die neuen Informationstafeln für das Centovalli, Onsernonetal und die Terre di Pedemonte (Cavigliano, Verscio, Tegna) befinden sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Realisierung, ebenso wie ein neues Wanderangebot zwischen Bosco Gurin und Brissago sowie eine Schatzsuche für Familien in Intragna. Ein weiteres wichtiges Projekt ist laut Koordinatorin Bosello die Instandsetzung des Wanderwegs zwischen Palagnedra und Moneto. Diese Initiative erhielt den mit 20 000 Franken dotierten Schweizer Postpreis 2022.

Die Sitzbänke für Mitfahrgelegenheiten.

Eine der «Swing the World»-Schaukeln.

Der touristische Info-Point an der zentralen Piazza von Intragna.

Förderung des öV und von Renovationen

Die Nachhaltigkeit der Projekte zeigt sich in der Landschaftspflege, der Vernetzung der Projekte und natürlich in der Förderung des öffentlichen Verkehrs. Das Centovalli hat diesbezüglich einen grossen Vorteil, da das Tal von der Meterspurbahn Centovallina erschlossen wird, die Locarno und Domodossola verbindet und 2023 ihr 100-jähriges Bestehen feiert. Dazu kommen noch die Seilbahnen Verdasio–Rasa und Verdasio–Comino.

Die im Masterplan enthaltenen Projekte haben sowohl öffentlichen als auch privaten Charakter. Ottavia Bosello unterstützt als Koordinatorin die Projektträger in den verschiedenen Stadien ihrer Vorhaben, indem sie ihnen eine spezifische Beratung anbietet. Die Hilfestellung reicht von der Entwicklung und Ausarbeitung einer Idee über die Kreation von Synergien unterschiedlicher Initianten bis zur Ausarbeitung eines Businessplans und zur Suche nach Finanzen. Die finanziellen Zuwendungen für einzelne Projekte laufen über Stiftungen oder die öffentliche Hand – auf der Grundlage von spezifischen Gesetzen. So ergibt sich ein breites und vielfältiges Spektrum an Initiativen. Neben den bereits vorgestellten Projekten sind die Förderung lokaler Aktivitäten und Veranstaltungen, aber auch die Renovation von Alphütten (Corte Nuovo) oder wichtiger historischer Gebäude (Palazzo Tondü) zu erwähnen.

Über die Einzelinitiativen hinaus ist es wichtig, die Landschaft und das Territorium zu pflegen und zu erhalten. Das ist nicht immer einfach, denn das Gebiet weist einen hohen Anteil an Zweitresidenzen auf. Die Gemeinde Centovalli hat festgestellt, dass die Erben von Rustici die Bausubstanz häufig nicht mehr pflegen. Dächer stürzen ein. «In einigen Fällen müssen wir den Abriss anordnen», meint Gemeindeschreiber Benzonelli.

Kreativität und Mut

Trotz dem Masterplan ist die Zukunft des Centovalli ungewiss. Es braucht Ideen, Finanzen und vor allem Menschen, um die Projekte zu realisieren. Alle diese Komponenten sind heute nicht in ausreichendem Mass vorhanden. «Kreativität und Mut sind nötig, um Ideen und Projekte zu entwickeln», sagte Giacomo Garzoli, Präsident des Dachverbands «Ente Regionale per lo Sviluppo del Locarnese e Vallemaggia» (ERS-LVM), anlässlich der Bilanz der ersten zwei Jahre des Masterplans Centovalli im Oktober 2022.

Benzonelli betont seinerseits, dass es nützlich wäre, «über mehr finanzielle Mittel in Form von Subventionen zu verfügen, nicht in Millionenhöhe, sondern bescheidene Beträge, die helfen würden, kleine Projekte zu realisieren». Denn die Gemeinde Centovalli verfügt über ein jährliches Investitionsbudget von nur 400 000 Franken. Nach Abzug der notwendigen Investitionen für den Unterhalt und die Instandsetzung der Infrastruktur bleibt nicht viel übrig, um die verschiedenen Initiativen aus eigener Kraft zu unterstützen.

Gerhard Lob
Freier Mitarbeiter