In Grosshöchstetten wird künftig an der Urne abgestimmt statt an der Gemeindeversammlung.

Das politische System auf Gemeindeebene: Wie soll es sein? Zu den aktuellen Debatten

25.02.2025
1-2 l 2025

In Bern, Graubünden, im Aargau und in Solothurn wird über das politische System diskutiert: Soll es ein kommunales Parlament geben? Oder soll es abgeschafft werden? Wie steht es um die Gemeindeversammlung? Vollständig darauf verzichten? Und warum gibt es weniger Parlamente im Vergleich zum Jahr 2024? Diesbezüglich kommt der Kanton Neuenburg ins Spiel.

2121 – das ist die aktuelle Zahl der schweizerischen Gemeinden. Ihre politische Organisation ist vielfältig, veränderbar und immer wieder Gegenstand von Debatten. Blicken wir zunächst in eine Gemeinde, in der über die Zukunft der Gemeindeversammlung diskutiert und erst kürzlich entschieden wurde.

Verzicht auf die Gemeindeversammlung

In Grosshöchstetten (BE) wurde am 9. Februar 2025 über die Initiative «Urnenabstimmung anstelle Gemeindeversammlung» abgestimmt. Lanciert wurde der Vorstoss durch die «Freie Wählergruppe» mit folgenden Argumenten:

Die Beteiligung an den Gemeindeversammlungen sei gering: In den letzten 10 Jahren weniger als 5 Prozent.

Wer unregelmässig arbeite, müsse die Gemeindeversammlung frühzeitig verlassen, oder Personen könnten aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen oder hätten anderweitige Verpflichtungen. Eltern mit Kindern müssten eine Teilnahme frühzeitig planen und entsprechend organisieren.

Um den Austausch zwischen Bevölkerung und Gemeinderat sicherzustellen, schlägt die «Freie Wählergruppe» Orientierungsversammlungen vor, damit über aktuelle Geschäfte und die anstehende Urnenabstimmung informiert und diskutiert werden kann. Die Bevölkerung soll auch die Möglichkeit erhalten, Auskünfte zu Themen zu erhalten. Auch künftige Mitwirkungsverfahren und Begleitgruppen können genutzt werden.

Der Gemeinderat beschloss «Stimmfreigabe». Seine Stellungnahme in der Abstimmungsbotschaft war neutral, abwägend:

«Pro und Kontra der Initiative entscheiden sich an der Gewichtung einzelner Argumente. Es trifft zu, dass die Stimmbeteiligung an Urnenabstimmungen signifikant höher ausfällt als an Gemeindeversammlungen (…) Urnenvorlagen können entweder angenommen oder abgelehnt werden; demgegenüber bieten Gemeindeversammlungen mehr Spielraum, Vorlagen mit einer Diskussion und Anträgen vor Ort noch beeinflussen zu können.» (S. 4)

Die Gemeindepräsidentin sprach sich in ihrer Funktion als Vorstandsmitglied der EVP für die Initiative aus (Bericht der Berner Zeitung vom 30.01.2025).

Bei einer Stimmbeteiligung von 47 Prozent stimmten 976 Stimmberechtigte für die Initiative, 434 dagegen und 25 legten leer ein. Somit ist Grosshöchstetten die einzige Gemeinde im Kanton Bern mit diesem Modell. Der Abstimmungssonntag ist allerdings als Startschuss zu betrachten. Nun muss die Exekutive unter anderem die Teilrevision der Gemeindeordnung vornehmen – selbstredend gibt es darüber eine Urnenabstimmung.

Verzicht auf das Parlament?

Auf Anfang dieses Jahres verzichtet Samnaun (GR) auf ein Parlament (Gemeinderat). Die Kommune verfügte jedoch bereits über eine Gemeindeversammlung. In der Abstimmungsbotschaft wurde ausgeführt:

«Die Gemeindeversammlung ist neu das Gemeindeparlament (bisher Gemeinderat). Sie hat entsprechend mehr Befugnisse.» (S. 4)

Der Revision der Verfassung der Gemeinde Samnaun stimmten 93 Prozent zu (Stimmbeteiligung: 37 Prozent).

In Buchs (AG) werden derzeit für eine Initiative Unterschriften gesammelt, um auf das Parlament zu verzichten, ebenso in Vaz/Obervaz (GR). Die Sammelfristen enden am 4. März 2025 respektive am 23. Juli 2025.

Von 460 Parlamenten im Jahr 2024 auf 456 im Jahr 2025: Warum?

Im Vergleich zum Vorjahr gibt es weniger kommunale Parlamente. Ein Grund liegt darin, dass Gemeinden – wie Samnaun – darauf verzichten. Allerdings ist dies die Ausnahme.

Ein anderer Grund zeigt sich im Kanton Neuenburg. Hier kommen zwei Punkte zusammen, die, gesamthaft betrachtet, zu einer Reduktion von kommunalen Parlamenten führen. Einerseits die gesetzliche Vorgabe: Es darf nur ein Parlament (Conseil général) als politische Organisation geben. Dies bedeutet im Umkehrschluss: Die für die Deutschschweiz typische Gemeindeversammlung ist ausgeschlossen. Andererseits kommt es immer wieder zu Fusionen – mit der Konsequenz, dass es automatisch weniger Parlamente gibt (per 1. Januar 2025: minus drei).

Wird es neue Parlamente geben?

Nun geht der Blick nach Solothurn, in die Kantonshauptstadt. «Die Stadt Solothurn wechselt zur ausserordentlichen Gemeindeorganisation», so der Vorstoss der Grünen. Somit kommt der Systemwechsel mit Parlament wieder auf die Agenda. Im Jahr 2019 wurde bereits an der Urne über die Einführung eines Parlaments abgestimmt: Bei einer Stimmbeteiligung von 39 Prozent machten 9 Stimmen den Unterschied – zugunsten der Beibehaltung der Gemeindeversammlung. Nun wird in diesem Jahr erneut über das Anliegen beraten.

Nicht nur in Solothurn wird darüber zu diskutieren sein, sondern auch in Ins (BE). Anlass ist die eingereichte «Gemeindeinitiative für ein Gemeindeparlament». Die Argumente ähneln denen in Grosshöchstetten bezüglich der geringen Beteiligung an der Gemeindeversammlung. Jedoch werden in Bezug auf die politische Organisation andere Konsequenzen gezogen.

In all den genannten Gemeinden gehen die Diskussionen über das politische System weiter – und bestimmt auch in weiteren…  Fortsetzung folgt!

Verhältnis Parlamente und Gemeinden

Von den 2121 Gemeinden (Stand: 1. Januar 2025) verfügen 456 (21 Prozent) über ein Parlament. In Tafers (FR) soll es im Jahr 2026 zur Konstituierung eines Generalrats kommen.

Michael Strebel
Politikwissenschafter