Das Schloss in Sargans (SG). Auch Denkmäler von kantonaler und nationaler Bedeutung liegen in St. Gallen künftig im Aufgabenbereich der Gemeinden.

Denkmalpflege: In St. Gallen entscheiden künftig die Gemeinden

11.11.2022
11 | 2022

Die St. Galler Gemeinden erhalten künftig mehr Kompetenz bei der Denkmalpflege. Der Heimatschutz St. Gallen/Appenzell sowie verschiedene Fach- und Schutzverbände befürchten einen Verlust von wichtigen Zeugen und reichen Beschwerde ein.

Im Kanton St. Gallen sind künftig die Gemeinden für die Baudenkmäler zuständig. Aber nicht nur für jene, die lokal von Bedeutung sind, sondern auch für jene, die kantonal und national bedeutsam sind. Dies hat der St. Galler Kantonsrat in seiner Juni- beziehungsweise Septembersession 2022 mit einer Anpassung im fünf Jahre alten Planungs- und Baugesetz beschlossen. Bisher brauchte es die Zustimmung der kantonalen Denkmalpflege, wenn Objekte und Baudenkmäler verändert oder abgerissen werden sollten. Nach der Gesetzesänderung benötigen die Gemeinden keine Einwilligung der Fachstelle mehr. Der Kanton hat jedoch ein Rekurs- und Beschwerderecht und übernimmt eine beratende Rolle.

Mit dieser Kompetenzverschiebung im Denkmalschutz gehört der Kanton St. Gallen zu einer Minderheit in der föderalistischen Schweiz. «In der Regel liegt die Zuständigkeit für die Denkmäler, die insbesondere von kantonaler und nationaler Bedeutung sind, bei den Kantonen», sagt Walter Engeler. Der Jurist ist Lehrbeauftragter für Denkmalrecht an der Berner Fachhochschule und hat das Standardwerk zum Denkmalrecht in der Schweiz verfasst. Eine ähnliche Regelung wie St. Gallen kenne beispielsweise noch der Kanton Thurgau, weiss er. Auch dort liege die Verantwortung für die geschützten Objekte bei den Gemeinden.

Kritik von Schutz- und Fachverbänden

Die Anpassungen im Denkmalschutz wurden im Kantonsrat allerdings nicht diskussionslos durchgewinkt. Insbesondere die Grünen und eine Mehrheit der Grünliberalen Partei wehrten sich. Ausserdem hatte ein Zusammenschluss von acht Schutz- und Fachverbänden wie WWF, Pro Natura und Architektenforum unter der Federführung des Heimatschutzes St. Gallen/Appenzell bereits zuvor den Vorschlag heftig kritisiert. «Die Kompetenzverlagerung verstösst gegen internationale Abkommen und gegen Bundesrecht», sagt Kathrin Hilber, die bis Ende September den Heimatschutz St. Gallen/Appenzell präsidierte. «Damit würde eine untere Staatsebene über Verantwortlichkeiten einer oberen Ebene entscheiden: Gemeinden könnten Bauentscheide fällen, die vom Kanton beziehungsweise vom Bund zu bezahlen sind.»

«Für einen wirkungsvollen Schutz braucht es eine starke kantonale Denkmalpflege, sonst drohen Verluste von wichtigen Zeugen.»

Kathrin Hilber, ehemalige Präsidentin Heimatschutz St. Gallen/Appenzell

Zudem stellt sie infrage, ob die Gemeinden den neuen Verantwortlichkeiten nachkommen könnten. «Bisher hat nur eine Gemeinde im Kanton ein Reglement über Denkmalschutzbeiträge, obwohl dies das Gesetz seit drei Jahren vorschreibt», so Kathrin Hilber. Nur ein Drittel der 77 Gemeinden verfüge über genügend eigene Fachkenntnisse in Denkmal- und Naturschutzfragen. Ein weiteres Drittel ziehe jeweils Fachpersonen bei, und ein letztes Drittel fälle leider oft Fehlentscheide, genehmige Abbrüche, Umbauten und Eingriffe, die Schutzobjekte stark beeinträchtigten oder gar zerstörten. «Das kann und darf nicht sein», sagt die ehemalige Verbandspräsidentin.

«Zusammenarbeit bleibt bestehen»

Die St. Galler Regierung hatte sich für eine Änderung im Denkmalschutz ausgesprochen, weil die bisherigen Bestimmungen von verschiedenen Gemeinden und den Wirtschaftsverbänden nicht mehr akzeptiert wurden. Rolf Huber ist Kantonsrat (FDP) und Präsident der Rheintaler Gemeinde Oberriet. Gleichzeitig steht er der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten (VSGP) vor. Dieser Verein vertritt die Interessen der Gemeinden im Kanton. Huber kann die Aufregung und Kritik der Verbände nicht nachvollziehen. «Auch mit der Kompetenzverschiebung bleibt die Zusammenarbeit zwischen Gemeinden und Denkmalpflege bestehen», sagt er. Die kantonale Fachstelle werde auch künftig früh in die Verfahren eingebunden, und ihr Urteil bleibe weiterhin wegweisend.

«Die Gemeinden werden die Pflege und Bewahrung ihrer Denkmäler weiterhin sehr ernst nehmen.»

Rolf Huber, Kantonsrat (FDP), Gemeindepräsident Oberriet und Präsident der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidentinnen und Gemeindepräsidenten (VSGP)

Einzig in der «Gesamtabwägung einer Baubewilligung» habe die Kommune nun etwas mehr Spielraum, um über die Wichtigkeit von hauptsächlich Details zu entscheiden. «Aber», betont der VSGP-Präsident, «ein Gebäude von kantonaler oder nationaler Bedeutung wird mit Sicherheit nicht einfach abgebrochen.» Alles andere sei Angstmacherei. «Die Gemeinden werden die Pflege und Bewahrung ihrer Denkmäler weiterhin sehr ernst nehmen.» Dazu seien sie durchaus in der Lage, kontert er, auch fachlich. «Die Behörden vor Ort kennen ihre Objekte am besten. Zudem werden sie von verschiedensten externen Seiten gut beraten. Dazu gehört auch die kantonale Denkmalpflege.» Die neue Bestimmung verbessere jedoch die Situation für die Gemeinden, die Grundeigentümer und die Investoren.

Granada-Konvention als Massstab

Die Verbände haben angekündigt, eine «Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten» einzureichen. Dies wollen sie noch in diesem Jahr tun. «Für einen wirkungsvollen Schutz braucht es eine starke kantonale Denkmalpflege, sonst drohen Verluste von wichtigen Zeugen», sagt Kathrin Hilber. Walter Engeler, der auch Institutionen und Behörden in Denkmal- und Steuerrecht berät, hat die Diskussionen in seinem Heimatkanton verfolgt. Er sagt: «Eines der wichtigsten Abkommen des Europarats zum Schutz des baugeschichtlichen Erbes ist die Granada-Konvention. Sie gilt auch in der Schweiz und ist für die Kantone Massstab bei der Umsetzung der Gesetzgebung.» Das Abkommen verlange ein «wirksames Kontroll- und Genehmigungsverfahren» zum Schutz von Baudenkmälern. «Ob hier das Aufsichtsrecht des Kantons über die Gemeinden genügt, ist fraglich.»