Werden Linien und Abfahrtsinformationen direkt bei der Einstiegsmarkierung angeordnet und auf Anforderung auch akustisch ausgegeben wie hier in Solothurn, sind sie auch für blinde und sehbehinderte Fahrgäste zugänglich.

Der weisse Stock und der öffentliche Verkehr

21.10.2021
10 | 2021

Hindernisfrei gestaltete Haltestellen ermöglichen sehbehinderten Menschen Selbständigkeit. Wichtig sind etwa gut lesbare Schriften oder eine angepasste Beleuchtung – das dient auch anderen Fahrgästen.

Wenn jemand wenig oder gar nichts sieht, sind alltägliche Dinge wie die richtige Haltestelle aufzufinden, die Fahrgastinformationen abzurufen und in die richtige Buslinie einzusteigen Herausforderungen, die viel Konzentration, Energie und Selbstvertrauen erfordern. Werden die Haltestellen hindernisfrei gestaltet und die Massnahmen richtig angewendet, dann ermöglichen sie Menschen mit Sehbehinderung eine selbständige Mobilität. Gut lesbare Schriften und eine ausgewogene Beleuchtung sind ausserdem für alle Fahrgäste wichtig.

Hindernisfreie Haltestellen sind eine Aufgabe von Gemeinde und Kanton

Hindernisfreie Bushaltestellen zu erstellen, ist Aufgabe der Strasseneigentümer, das heisst der Gemeinden und Kantone. Während in den letzten Jahren der Entwicklung von Lösungen für hohe Haltekanten viel Aufmerksamkeit  geschenkt worden ist, besteht bei der hindernisfreien Ausstattung für sehbehinderte Menschen noch Nachholbedarf. Das Bundesrecht hat für die Anpassung von Haltestellen im Behindertengesetz eine Frist bis Ende 2023 festgelegt. Was es zu erfüllen gilt, wird insbesondere in der Verordnung für die behindertengerechte Gestaltung des öffentlichen Verkehrs sowie in den einschlägigen Normen, z.B. der SN 640 075 «Hindernisfreier Verkehrsraum», geregelt.

Und was können Gemeinden tun, um ihre Haltestellen sehbehindertengerecht zu gestalten?

Von zentraler Bedeutung ist, an den Haltestellen eine aufgeräumte und einheitliche Situation zu schaffen, so dass sich Betroffene, wenn sie das Liniennetz kennen, mit Hilfe des weissen Stocks auch an jenen Haltestellen orientieren können, die sie nicht täglich nutzen. Das Zusammenspiel weniger Faktoren führt ans Ziel: Abfahrtsanzeige, taktil-visuelle Einstiegsmarkierung und Witterungsschutz einheitlich positioniert, keine Hindernisse auf Wegen, bei Bedarf einzelne Sicherheitsmarkierungen.

Dornacherplatz Solothurn ist komplett hindernisfrei

Als Beispiel für eine gelungene Umsetzung steht der Dornacherplatz in Solothurn: Das weisse Aufmerksamkeitsfeld markiert für Menschen mit Sehbehinderung die Einstiegsstelle an der vordersten Türe des Busses. So warten sie also immer am richtigen Ort. Sobald das Fahrzeug an dieser Stelle hält, kann der Chauffeur angesprochen werden, um zu bestätigen, ob er das gewünschte Fahrziel ansteuert. Am dynamischen Fahrgastanzeiger können sie die Information über die nachfolgenden Busse selbständig über den gelben «Text-to-speech» – Taster abrufen. Muss jedoch länger auf einen Bus gewartet werden, ist auch die Wartehalle dank dem Betonsockel gut ertastbar. Der helle Sockel, der im Kontrast zum Belag steht, ist für Menschen mit eingeschränkter Sehfähigkeit visuell gut erkennbar und ersetzt damit die kontrastreiche Markierung, die sonst als Aufprallschutz an den Glaswänden erforderlich wäre.

Die für Menschen mit Sehbehinderung erforderlichen Massnahmen sind für unsere hochentwickelte Gesellschaft nachhaltig und zumutbar. Und sie sind einfach umzusetzen.

Rollstuhlgerechte Ladeplätze – eine neue Herausforderung für Gemeinden und Kantone

Allein in den letzten zwei Jahren hat sich die Anzahl von Elektrofahrzeugen auf Schweizer Strassen mehr als verdoppelt. Für Menschen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, bieten Elektrofahrzeuge Optionen wie zum Beispiel selbstöffnende Türen, die ihnen den Alltag erleichtern. Wie Ladeplätze zu bauen sind, damit sie von Rollstuhlfahrenden bedient werden können, wird jedoch bisher nicht in den Normen abgebildet. Das neue Merkblatt 150 der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur erklärt nun erstmals die Anforderungen und zeigt Konzepte auf, wie rollstuhlgerechte Ladeplätze diskriminierungsfrei angeboten werden können. Gerade weil die einzelnen Fahrzeugtypen ihren Anschluss mal auf der einen oder anderen Seite, mal vorne oder hinten am Auto haben, ist die Umsetzung solcher Ladeplätze in Bezug auf die Rollstuhlgerechtigkeit komplex. Bei Weitem nicht jedem steht zu Hause oder am Arbeitsplatz eine private Parkiermöglichkeit zur Verfügung, die mit einem Ladegerät ausgerüstet werden kann. Hier sind die Gemeinden gefordert, öffentlich zugängliche Ladeplätze zu erstellen und bei der Bewilligung von Parkierungsanlagen mit Ladeplätzen dafür zu sorgen, dass das Angebot auch für Menschen mit einem Rollstuhl nutzbar ist – auch solche privater Anbieter, wie zum Beispiel von Einkaufsfilialen. Kernpunkte sind: ausreichend grosse Bewegungsflächen, sowohl rund um das Auto als auch vor den Ladesäulen, so dass alle potenziellen Anschlüsse des E-Autos bedient werden können. Die Bedienung der Geräte muss aus sitzender Position möglich und die Ladesäule absatz- und schwellenlos erreichbar sein .

Eva Schmidt
Fachstelle «Hindernisfreie Architektur»