«Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht», schreibt Robert Zaugg, Professor am Departement für Betriebswirtschaft der Universität Freiburg. Menschen, die sich nicht entwickeln wollen, entwickeln sich in der Regel auch nicht.

Die Gemeinde als Arbeitgeberin in einer «neuen» Arbeitswelt

21.03.2022
3 | 2022

Die Sicherheit einer Stelle bei der Gemeinde reicht heute nicht mehr, um geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für die kommunale Verwaltung zu finden. Der Freiburger Uniprofessor Robert Zaugg zeigt Wege für die Talentsuche auf.

Insgesamt arbeiten rund 92 000 Mitarbeitende in 2172 Schweizer Gemeindeverwaltungen (Stand 2017 gem. dem Nationalen Gemeindemonitoring 2017). Die Anforderungen an Gemeindemitarbeitende sind gestiegen. Neben einem guten Verständnis für politische Prozesse und einem grossen Wissen über den betreuten Themenbereich wird zunehmend auch Managementwissen verlangt. Es fällt den Gemeinden zunehmend schwer, geeignete Personen zu finden. Offensichtlich gilt es, bei der Gewinnung, Motivation und Entwicklung von Gemeindemitarbeitenden neue Wege zu gehen. Ein Musterbruch tut Not.

Trends im Personalmanagement

Das Personalmanagement und damit auch die Art und Weise, wie Unternehmen und öffentliche Institutionen zu geeigneten Mitarbeitenden kommen und diese halten, hat sich grundlegend verändert. Während früher Werte wie Arbeitsethos und Einsatz für das Gemeinwohl im Vordergrund standen, sind heute keine eindeutigen Wertetrends erkennbar. Scheinbar gegensätzliche Werte wie Wille zur Leistung und Hedonismus existieren nebeneinander, und der Wunsch nach Individualität ist nicht selten mit dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einem Kollektiv gepaart. Grundsätzlich gilt: Menschen wollen sich entwickeln, und sie wollen sinnvolle Aufgaben übernehmen, die sie fordern.

Weiter sehen wir uns – insbesondere in westlichen Industriestaaten – einer demografischen Herausforderung in mehrerlei Hinsicht gegenüber. Der Arbeitsmarkt ist zunehmend ausgetrocknet, und die zur Verfügung stehenden Bewerbenden sind sehr heterogen zusammengesetzt (Generationenmix aus Babyboomern sowie den Generationen X, Y und Z). Den klassischen Bewerber bzw. die klassische Bewerberin dürfte es immer seltener geben. Gemeinden müssen ihre Perspektive erweitern, wenn sie geeignete Kandidatinnen und Kandidaten für Gemeindestellen gewinnen wollen. Schliesslich sind noch die technologischen Veränderungen zu nennen. Internet und soziale Medien erlauben es jedem und jeder, sich umfassend zu informieren. Kandidaten finden zunehmend spannende Stellen bei interessanten Unternehmen bzw. öffentlichen Institutionen und immer weniger umgekehrt.

Zentrale Fragen

1. Was ist die «Employee Value Proposition» für Gemeindemitarbeitende? Wie kann eine qualifizierte und engagierte Person motiviert werden, eine Stelle bei einer Gemeindeverwaltung anzutreten?

Offensichtlich reicht der mit einer Stelle bei einer Gemeinde verbundene Sicherheitsaspekt nicht mehr aus. Menschen wollen etwas Sinnvolles tun, und sie wollen sich entwickeln können. Wenn es gelingt, die Sinnhaftigkeit und die soziale Verantwortung (Dimensionen der Public-Service-Motivation) anzusprechen sowie aufzuzeigen, dass mit der Tätigkeit bei einer Gemeinde eine Entwicklung und ein grosser Erfahrungsgewinn verbunden sind, dann dürfte es einfacher sein, geeignete Personen zu finden. Primär materielle Anreizsysteme sind der falsche Weg und dürften sich auch politisch nicht umsetzen lassen.

2. Wie lässt sich das «Produkt Gemeindestelle» angemessen kommunizieren?

Bei der Kommunikation gegenüber Interessenten sind neue Wege zu beschreiten. Dialogorientierte Veranstaltungen mit Bildungsinstitutionen, die Zusammenarbeit mit Vereinen und Verbänden, die Nutzung sozialer Medien, die regelmässige und offene Information der Bevölkerung über die Tätigkeit von Gemeindemitarbeitenden sowie die Schaffung von Interaktionsmöglichkeiten sind denkbare Wege. Wenn Unternehmen qualifizierte Personen ansprechen wollen, tun sie das im Idealfall frühzeitig und im Rahmen eines intensiven Dialogs. Reine Werbebotschaften werden rasch als solche entlarvt, und deren Wirkung verpufft oder schlägt ins Gegenteil um. Der offene, ehrliche und ernsthafte Dialog mit Interessierten ist auch für eine Gemeinde möglich.

 3. Wie wählen wir die richtigen Personen für eine Stelle aus? Welche Persönlichkeitsmerkmale, Ausbildungen und Kompetenzen sind ausschlaggebend?

Die Rekrutierungs- und Selektionsprozesse für Gemeindemitarbeitende unterscheiden sich nicht von denjenigen in privatwirtschaftlichen Unternehmen. Die Kenntnis der Anforderungen sowie ein systematischer Prozess sind unabdingbar. Hinzu kommt, dass sich auch Gemeinden bzw. öffentliche Institutionen mittels «Employer Branding» als Wunscharbeitgeber positionieren können. Grundsätzlich gilt, dass – ausgehend von einer fachlichen Eignung – insbesondere die Motivation und die Persönlichkeit als zentrale Selektionskriterien gelten sollten. Fachliche Defizite können geschult werden, persönlichkeitsbezogene Aspekte nicht. So ist nicht nach normierten Lebensläufen zu suchen, sondern nach Persönlichkeiten, die zur Gemeinde passen. Mehrere Personen sehen mehr als Einzelne. Assessment Center sind auch für Gemeinden denkbar. Die Arbeitsprobe ist ein effektives Selektionsinstrument.

4. Was können wir tun, um Gemeindemitarbeitende zu entwickeln bzw. sie in ihrer Entwicklung zu unterstützen?

Da es vermutlich selten gelingt, eine perfekt qualifizierte Person zu gewinnen, ist die kontinuierliche Entwicklung von Mitarbeitenden eine wichtige Aufgabe. Entwicklung bedeutet einerseits die Gewährleistung einer professionellen Arbeit, und andererseits stellt sie einen bedeutenden immateriellen Anreiz dar. Die Möglichkeiten, etwas Neues zu erlernen oder das Kompetenzspektrum zu erweitern, sind für viele Menschen starke Motivatoren. Sowohl in Privatunternehmen als auch in öffentlichen Institutionen sollten diese Entwicklungsmassnahmen selbstmotiviert erfolgen. Denn: «Das Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht.» Menschen, die sich nicht entwickeln wollen, entwickeln sich in der Regel auch nicht. Attraktive Angebote und moderne Ansätze (webbasierte Ausbildung, Simulationen usw.) erzeugen Lust auf Entwicklung. Eine klare Kommunikation der Anforderungen und Erwartungen sowie ein regelmässiges und systematisches Feedback sind ebenso wichtig. 

Einladung zum Musterbruch

Mit traditionellen Ansätzen ist der Talentknappheit im Gemeindewesen nicht beizukommen. Neue Ideen und Musterbrüche tun Not. Ein professionelles Bewirtschaften der an sich sehr spannenden und attraktiven Tätigkeitsfelder in Gemeinden mit den Mitteln eines modernen Personalmanagements kann helfen. Versuchen Sie es!

Robert J. Zaugg
Professor, Departement für Betriebswirtschaft der Universität Freiburg 

Informationen:

Der vorliegende Beitrag ist die Zusammenfassung eines Referates, das der Autor im Rahmen des 16. Politforums Thun am 11. März 2022 gehalten hat.