
«Die Wohnungsknappheit dehnt sich auf die Agglomerationen aus»
Die Lage auf dem Wohnungsmarkt hat sich in den letzten fünf Jahren drastisch verschärft. Das fordert nicht nur Städte und Gemeinden, sondern auch das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO). Direktor Martin Tschirren erklärt die Hintergründe der aktuellen Situation, welchen Handlungsspielraum die Gemeinden haben und weshalb die Massnahmen des Aktionsplans Wohnungsknappheit bislang noch nicht greifen.
Das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) ist das Kompetenzzentrum des Bundes für Wohnungsfragen. Seine Tätigkeit gliedert sich in drei Teilbereiche: das Forschungsprogramm zu Wohnthemen, das Mietrecht sowie die Wohnraumförderung, für die der Bundesrat erst Ende September zusätzliche Gelder gesprochen hat. Der Fonds de Roulement zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus soll demnach für die Jahre 2030 bis 2034 um 150 Millionen Franken aufgestockt werden. Martin Tschirren ist seit 2020 Direktor des BWO und beantwortet die drängendsten Fragen zur Wohnungsknappheit.
Die Leerwohnungsziffer ist zwischen 2020 und 2025 von 1,72 auf 1,0 Prozent zurückgegangen. Was sind die Gründe dafür?
Einerseits verzeichnen wir eine stetige Nachfrage nach Wohnungen, andererseits eine schwache Bautätigkeit. Letzteres beobachten wir bereits seit 2018. Gründe dafür sind unter anderem Raumplanungsvorgaben, teureres Bauland, komplexe Verfahren, Einsprachen sowie gestiegene Baukosten.
Welche Gemeinden sind besonders betroffen?
In den grossen Städten ist die Lage schon länger angespannt. Bemerkenswert ist die Verschärfung in touristischen Berggemeinden, wo sich die Leerstände zwischen 2020 und 2023 halbiert haben. Seit ein, zwei Jahren beobachten wir zudem, dass sich die Wohnungsknappheit auch auf die Agglomerationen und kleinere Zentren ausdehnt.
Was sind die Folgen dieser jüngsten Entwicklung?
Die Wohnungsknappheit führt zu höheren Angebotsmieten. Wer eine neue Wohnung suchen muss und in den Städten keine bezahlbare Option mehr findet, weicht auf die umliegenden Gemeinden aus.
Weshalb ist die aktuelle Situation so besorgniserregend, dass Massnahmen notwendig sind?
Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis, das uns alle betrifft. Ein ungenügendes Wohnungsangebot hat einerseits soziale Folgen; eine Studie zeigt, dass 28 Prozent der Haushalte in der Schweiz sich den Umzug in eine vergleichbare Wohnung nicht leisten können, weil deren ausgeschriebener Mietzins zu hoch ist. Andererseits hat der Wohnungsmangel auch wirtschaftliche Folgen, wie man derzeit vor allem in den Tourismusgemeinden sieht: Es wird schwierig, Fachkräfte zu finden, wenn diese vor Ort keine Wohnung finden.
In der Schweiz ist der Wohnungsbau eine Sache der Privatwirtschaft. Welche Rolle spielt die öffentliche Hand?
Staatliche Akteure geben wichtige Rahmenbedingungen für die Bautätigkeit vor, so mit der Raumplanung, den Bauvorschriften oder dem Mietrecht. Der Bund hat auch einen Verfassungsauftrag, den Wohnungsbau zu fördern.
Welche Handlungsmöglichkeiten haben die Gemeinden?
Die Gemeinden sind von allen staatlichen Ebenen der Bevölkerung am nächsten. Sie können lenkend einwirken und zum Beispiel in Nutzungsplänen Vorgaben oder Anreize für den Bau von preisgünstigem Wohnraum schaffen. Sie können auch fördern und finanzieren, indem sie etwa die Gründung einer Wohnbaugenossenschaft unterstützen, Land im Baurecht abgeben oder gar Mietzinsbeiträge leisten – das macht zum Beispiel die Stadt Basel.
Mit dem Aktionsplan Wohnungsknappheit will der Bund das Angebot an preisgünstigem und bedarfsgerechtem Wohnraum erhöhen. Auch die Gemeinden waren in die Erarbeitung mit eingebunden. Weshalb war das wichtig?
Die Gemeinden haben im Bereich der Raumplanung wichtige Kompetenzen und Aufgaben. Im Aktionsplan sind verschiedene Massnahmen definiert, die in den Zuständigkeitsbereich der Gemeinden fallen. Das Thema Wohnungsbau ist sehr lokal geprägt, passende Lösungen sind lokal zu definieren. Gerade für kleinere Gemeinden geht es auch um die Zukunft: Fehlt der Wohnraum, ziehen junge Familien weg, oder es fehlen Fachkräfte.
Welche Massnahmen des Aktionsplans richten sich an Gemeinden?
Konkret nennen kann ich die Arbeitshilfe zur Interessenabwägung oder eine Studie zu Einsprachen und Rekursen mit verschiedenen Vorschlägen auch für Gemeinden. Oder ein geplantes Beratungsangebot für Gemeinden zur Innenentwicklung.
Eine erste Umfrage von Anfang 2025 stellte noch keine spürbaren Effekte des Aktionsplans fest. Weshalb ist das so?
Die Umfrage zeigte, dass ungefähr die Hälfte der Massnahmen in Umsetzung ist. Die meisten Massnahmen sind mittel- bis langfristig ausgelegt und zielen auf eine Veränderung der Rahmenbedingungen – deshalb brauchen sie Zeit, um einen Effekt zu zeigen. Wir werden 2026 eine erneute Umfrage durchführen. Aufgrund dieser Resultate werden wir entscheiden, ob es Anpassungen braucht und ob erneut ein runder Tisch zum Thema durchgeführt werden soll.
Hat das Entlastungspaket des Bundes Auswirkungen auf den Aktionsplan?
Die Wohnraumförderung direkt ist nicht betroffen, allerdings steht für die Forschung weniger Geld zur Verfügung als ursprünglich geplant. Das wird sich indirekt auf die Wohnungspolitik insgesamt auswirken, weil weniger Datengrundlagen zur Verfügung stehen werden.
Preisgünstiger Wohnraum: ein aktualisierter Baukasten für Gemeinden
Steigende Wohnkosten stellen Agglomerations- und Tourismusgemeinden vor grosse Herausforderungen. Das Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) hat deshalb den «Baukasten für preisgünstigen Wohnraum» aktualisiert und auf der Website um zusätzliche Inhalte ergänzt. Neu sind auch Videos enthalten. Der Baukasten zeigt zehn Instrumente zur Förderung von preisgünstigem Wohnraum und veranschaulicht diese anhand erfolgreicher Beispiele aus sechs Gemeinden. Er wurde anlässlich der Schweizer Wohntage am 7. November 2025 publiziert.