Ein Beitrag zur Erhaltung der alpinen Kulturlandschaft
Mit dem «Rustici-Manifest» soll die Restaurierung von Rustici in den Tessiner Tälern gefördert und ihr Verfall verhindert werden. Die Gemeinden können die Eigentümer sensibilisieren.
Die Rustici sind Teil der alpinen Kulturlandschaft in den Tessiner Tälern. Für die Berglandwirtschaft erfüllten sie einst eine wichtige Funktion als Ställe und Wohnraum, wenn die Bergbauern im Sommer auf die Maiensässe und Alpen zogen. Doch heute existiert zumindest im Tessin – anders als im Wallis oder in Graubünden – die Berglandwirtschaft kaum noch. Das Ergebnis ist der Verfall vieler verlassener Rustici mit dem Risiko, dass diese definitiv zusammenfallen und sich nicht mehr restaurieren lassen. Gleichzeitig werden sie zusehends vom wachsenden Wald überwuchert.
Um eine solche Entwicklung zu vermeiden, hat das Amt für Regionalentwicklung im Locarnese (Ente regionale di sviluppo del Locarnese e Valli, ERS-LV) ein Manifest zur Förderung, Sensibilisierung und Unterstützung der Restaurierung und Aufwertung der Rustici verabschiedet. «Das Thema der Rustici ist schon lange ein problematisches Thema, vor allem für die Objekte, die sich ausserhalb der Bauzone befinden», sagte Giacomo Garzoli, Präsident der ERS-LV, an der Medienkonferenz im Oktober 2022 in Locarno, an der das «Manifesto rustici» vorgestellt wurde. Tatsächlich wird die Situation der Rustici seit mehreren Jahrzehnten kontrovers diskutiert, denn für diese Bauten, die oft ausserhalb der Bauzone liegen, gibt es seitens des Bundes strenge Vorschriften, was Umbauten langwierig und schwierig macht.
Restaurierung fördern
Das «Rustici-Manifest» wurde in der Absicht erstellt, aktiv die Restaurierung dieser Gebäude zu fördern. Das Ziel aller angesprochenen Behörden und Instanzen – Bund, Kanton, Gemeinden, öffentliche Körperschaften und Privatpersonen – sollte es laut Initianten sein, diese wertvollen Kulturgüter und Kulturlandschaften mit präzisen Regeln zu schützen. Es geht aber auch darum, eine gewachsene und abwechslungsreiche Berg-Kulturlandschaft zu erhalten, welche die Spuren der Vergangenheit aufzeigt. «Eine würdige Zukunft für Randregionen entsteht auch durch die Aufwertung ihrer typischen Merkmale – Rustici und die sie umgebende Landschaft gehören zu Recht dazu», sagt Aron Piezzi, ehemaliger Gemeindepräsident von Maggia, FDP-Grossrat und einer der Initiatoren des Manifests.
Andrea Sartori, der amtierende Gemeindepräsident von Maggia, begrüsst die Initiative. «Unsere Gemeinde und der Verband der Gemeinden im Maggiatal (ASCOVAM) unterstützen dieses Manifest», sagt er, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass die Gemeinden in dieser Problematik wenig Spielraum haben. «Da die Objekte ausserhalb der Bauzone liegen, gehen die Baugesuche direkt an den Kanton, der dann entscheiden muss – und dann gibt es noch die Bundesvorschriften.» Die Bauämter der Gemeinden können laut Sartori bei der Erläuterung der Verfahren behilflich sein, und die Gemeinden können bei der Verbreitung des Manifests und der Sensibilisierung der Eigentümer helfen, das heisst bei Privatpersonen, Stiftungen oder anderen Einrichtungen.
«Da die Objekte ausserhalb der Bauzone liegen, gehen die Baugesuche direkt an den Kanton, der dann entscheiden muss – und dann gibt es noch die Bundesvorschriften.»
Diese Ansicht vertritt auch Moreno Celio, ehemaliger Leiter der Umweltabteilung des Tessiner Bau- und Umweltdepartements (Dipartimento del territorio). In dieser Funktion verfolgte er jahrelang das Dossier Rustici. Celio – inzwischen im Ruhestand – schätzt besonders, dass dank dem Manifest ein Paradigmenwechsel stattfindet: «Die Klagen der Tessiner werden in eine Chance umgewandelt, etwas Positives zu tun.» Celio hält es für wichtig, zu handeln, bevor es zu spät ist: «Wenn bestimmte Gebäude zu Ruinen geworden sind, können sie per Gesetz nicht mehr restauriert werden.» Er sieht in der Instandsetzung der Rustici eine Möglichkeit, die Landschaft aufzuwerten.
«Es ist richtig, die Restaurationen zu fördern», sagt Ivo Bordoli, Gemeindepräsident der Gemeinde Verzasca. Allerdings weist Bordoli auf Schwierigkeiten hin, etwa die hohen Renovierungskosten und die Grösse der Gebäude. Viele verlassene Rustici im Verzascatal seien sehr klein, da sie während der Transhumanz nur kurzzeitig genutzt wurden. «Da keine Anbauten möglich sind, gibt es kaum Interesse für die Umwandlung solcher Objekte in einen Zweitwohnsitz.»
«Da keine Anbauten möglich sind, gibt es kaum Interesse für die Umwandlung solcher Objekte in einen Zweitwohnsitz.»
Hohe Kosten
Die Kosten für eine gut durchgeführte Renovierung sind zudem nicht unerheblich. Ein Dach aus Granitplatten kann mehr als 100 000 Franken kosten. Selbst wenn der Kanton Subventionen gewährt, müssen die Eigentümer noch immer hohe Kosten tragen. Die Initiatoren des Manifests rufen daher Eigentümer, die sich die Renovierungskosten nicht leisten können, dazu auf, ihre Häuschen auf dem Immobilienmarkt zum Verkauf anzubieten.
Ein weiteres Problem sind die komplizierten Eigentumsverhältnisse, manchmal Erbengemeinschaften, die oft ein unüberwindbares Hindernis darstellen. Um die Neuordnung des Grundeigentums bei komplexen Erbgemeinschaften zu fördern und schnellere Erbschaftsübertragungen zu begünstigen, fordert Aron Piezzi in einer Motion den Staatsrat auf, steuerliche Anreize zu schaffen.
Fundamental bleibt die private Initiative. Im April 2022 gründete Piezzi beispielsweise den Verein PER GIÜMAI, der sich zum Ziel gesetzt hat, «das architektonische, kulturelle, natürliche und landschaftliche Erbe von Giumaglio – einer Gemeinde im Maggiatal – zu schützen und aufzuwerten». Das erste Projekt, das PER GIÜMAI in Angriff nehmen will, ist die Restaurierung des Maiensässes Piaröi, das sich auf etwa 1200 Metern Höhe befindet. Piezzi zufolge müssen gerade diese kleinen Rustici-Siedlungen erhalten werden, da sie einen Mehrwert für die Landschaft darstellen. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass der Wald zuwachse: «Wenn wir nichts tun, wird in zehn Jahren alles verschwunden sein.»
«Wenn wir nichts tun, wird in zehn Jahren alles verschwunden sein.»
In diesem Sinne hat die Gemeinde Gambarogno bereits 2019 gehandelt, indem sie neun Rustici auf den Monti di Sciaga zum symbolischen Preis von einem Franken zum Verkauf angeboten hat, mit präzisen Bedingungen für die Restaurierung, um den Wert dieses «wunderschönen Ortes mit seinen Trockenmauern» zu steigern. Das Interesse an dieser Initiative war zunächst gewaltig, selbst aus Australien und Russland kamen Anfragen, doch nach einer Besichtigung der seit Jahren leer stehenden Gebäude und einer Erkundung des Geländes zogen sich viele potenzielle Käufer zurück. Denn eine Stunde Fussmarsch ist nötig, um das abgelegene Maiensäss zu erreichen. Das Dossier ist derzeit allerdings in Bern blockiert, wie die Gemeindekanzlei von Gambarogno mitteilt.