Gemeindeangestellte kaufen für die ältere Bevölkerung ein
Um ihre älteste Bevölkerung vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus zu schützen, erledigen in Meiringen (BE) Gemeindeangestellte ihre Einkäufe. Dieser Dienst wird nicht nur von den Seniorinnen und Senioren sehr geschätzt.
Als beim ersten Corona-Lockdown vor einem Jahr ältere Menschen und solche mit einer Vorerkrankung aufgefordert wurden, möglichst daheim zu bleiben, kam in Meiringen die Nachbarschaftshilfe noch mehr in Schwung als sonst. Gemeindepräsident Roland Frutiger stellte bald einmal fest, «dass die Nachfrage bei der Bevölkerung viel grösser war, als dass sie durch Einzelpersonen abgedeckt werden konnte». So beauftragte er kurzerhand die Gemeindeverwaltung, einen Einkaufsdienst für die älteren, gefährdeten und erkrankten Menschen im Gemeindegebiet Meiringen zu organisieren. Am 23. März letzten Jahres wurde ein Flyer in alle Haushaltungen verteilt, und einen Tag später wurden bereits die ersten Einkäufe getätigt.
Am Morgen bestellt, am Nachmittag geliefert
Für den Einkaufsdienst wurde eine separate Telefonnummer eingerichtet. So konnten die Einkaufswünsche telefonisch von Montag bis Freitag zwischen 8 und 12 Uhr der Gemeindeverwaltung bekannt gegeben werden. Am Nachmittag desselben Tages erfolgte der Einkauf in den gewünschten Lebensmittelgeschäften sowie in den Apotheken und der Drogerie in Meiringen.
«Die bestellte Ware wurde kostenlos nach Hause geliefert. Damit kein Bargeld verwendet werden musste, stellte die Gemeinde der Kundschaft jeweils eine Rechnung zu», fasst die Geschäftsleiterin Daniela Grisiger zusammen. Und fügt gleich hinzu: «Wir mussten nicht eine Mahnung verschicken, die Rechnungen wurden umgehend bezahlt.»
Pro Woche wurden 35 bis 40 Einkäufe erledigt. Von Montag bis Freitag waren jeweils drei Personen für den Dienst eingeteilt. «Das waren Angestellte der Gemeinde, die wegen den Corona-Massnahmen freie Kapazitäten hatten», erklärt die Geschäftsführerin. Insgesamt seien zehn Lehrpersonen, drei Mitarbeiterinnen des Hallenbads, zwei Jugendarbeiter und zwei Mitarbeiterinnen der Tagesschule für den Einkauf tätig. Daniela Grisiger: «Es haben sich auch Freiwillige aus der Bevölkerung gemeldet. Da sich aber genügend freiwillige Mitarbeitende der Gemeinde zur Verfügung stellten, konnten wir den Einkaufsdienst intern abdecken.» Den Telefondienst teilten sich drei Mitarbeiterinnen der Gemeindeschreiberei und zwei Auszubildende. Einzig die Spesen für die Autofahrten, die für die Einkäufe anfielen, musste die Gemeinde zusätzlich berappen.
Kleinere Nachfrage bei der zweiten Welle
Nach dem ersten Lockdown wurde dieser Service der Gemeinde eingestellt, im November wegen der zweiten Welle wieder aktiviert, allerdings in einem kleineren Umfang. «Viele Seniorinnen und Senioren haben ihre PC-Kenntnisse offenbar verbessert und bestellen online, oder sie haben sich privat organisiert. Für viele ist es wichtig, hin und wieder doch selbst einkaufen zu gehen, um unter Leute zu kommen oder zu sehen, welche Angebote es derzeit in den Läden gibt», sagt Jasmin Beyeler, Vize-Gemeindeschreiberin von Meiringen, die nach wie vor zum Einkaufsteam der Gemeinde gehört.
Dieses besteht ein Jahr nach der Einführung des Angebotes zudem aus Elisabeth Brunner, Manuela Keller und Ursula Müller, die normalerweise im Hallenbad arbeiten. Doch im Februar war das Hallenbad coronabedingt geschlossen. Die drei Frauen sind sich einig: «Das ist eine sehr gute Sache, die wir hier im Auftrag von Meiringen machen dürfen!» Sie seien der Gemeinde sehr dankbar, diesen Einkaufsdienst erledigen zu dürfen, betonen sie.
Hilfreiche, unkomplizierte Gemeinde
Die Bevölkerung erkenne, dass ihre Gemeinde unkompliziert, hilfreich und nicht nur eine Steuereintreiberin sei. Die Betagten würden es sehr schätzen, in dieser schwierigen Zeit nicht im Stich gelassen zu werden. Das entlastet auch die Angehörigen, die häufig wegen der Arbeit oder der Liebe nicht mehr in der Nähe ihrer Eltern wohnen. Manuela Keller: «Ich bin sehr froh, kann ich etwas tun und beziehe ich nicht einfach den Lohn, während ich abwarten muss, bis sich die Situation wieder ändert.» Das bestätigt auch Elisabeth Brunner. Und: «Es ist auch interessant, mit anderen Berufsgattungen wie der Lehrerschaft zusammenzuarbeiten sowie viele Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie ihre Vorlieben wie etwa ihr bevorzugtes Brot kennenzulernen.»
Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die Jasmin Beyeler gewonnen hat: «Ein Mann ausserhalb des Dorfzentrums hat etwa zwei Wochen nach dem Lockdown scheu gefragt, ob es auch möglich sei, nur einen Artikel zu bestellen.» Das habe sie bejaht. «Er wünschte sich frisches Brot. Einfach nach Wochen wieder einmal ein frisches Brot.» Auch dieser Wunsch ging umgehend in Erfüllung. Brot, Milchprodukte, frisches Obst und Gemüse, Fleisch, Toilettenartikel und Medikamente stehen denn auch nach wie vor am häufigsten auf den Einkaufslisten.
Wichtiges zwischen Tür und Angel
Das Einkaufsteam nimmt sich bei der Ablieferung der Taschen bewusst Zeit für einen Schwatz zwischen Tür und Angel. Zu Beginn seien nicht nur Einkäufe, sondern auch Informationen über die aktuelle Lage überbracht worden. «Wir haben bald gemerkt, dass Zuhören genauso wichtig ist wie Brot», sind sich die Einkäuferinnen einig. Heikle Situationen, dass etwa ein Einwohner mit der Lage nicht mehr zu Gange kam und eine zusätzliche Hilfe wie der Sozialdienst aufgeboten werden musste, gab es nicht.
Elisabeth Brunner prüft im Laden den Nüsslersalat, den sie einkaufen soll, ganz genau. «Ich möchte keine schlechte Ware liefern», erklärt sie und ist froh, kommt es auch diesbezüglich zu keinen Reklamationen. Viele würden ihre Liste zudem so zusammenstellen, wie der Ablauf im Migros oder Coop sei: von den Früchten und dem Gemüse über die Milch- und Fleischprodukte bis zu den Artikeln in der Nähe der Kassen. «Auch das ist sehr hilfreich.»
Vor dem Regal mit dem Apfelmus gerät Elisabeth Brunner kurz ins Stocken: Die Verpackung hat gewechselt, zum Glück weiss sie, dass diese Frau aber denjenigen ohne Zuckerzusatz will. Dass das eine Produkt just ausverkauft ist, nimmt sie ebenfalls mit einem Stirnrunzeln zur Kenntnis. Als Elisabeth Brunner die Tasche bei der Seniorin abliefert, sagt sie denn auch sofort: «Das war heute nicht erhältlich. Aber wenn sie möchten, bringe ich Ihnen das morgen noch schnell vorbei.» Die Meiringerin lehnt dankend, aber bestimmt ab: «Ich bin so froh, dass ich von Ihnen sonst alles erhalte! Mittlerweile kann ich für dieses eine Ding zur Not selbst schnell gehen - ich bin endlich geimpft.»
Umzug in Seniorenresidenz verschoben
Die Seniorin ist als sogenannte Risikopatientin Stammkundin des Einkaufdienstes der Gemeinde Meiringen. «Das ist eine riesige Hilfe. Alle geben sich grosse Mühe, ich fühle mich richtig verwöhnt. Erst durch Corona habe ich erkannt, wie viel Kraft und Zeit es mich kostet, meine Einkäufe sebst zu erledigen», sagt die 76-Jährige. Das Angebot von Meiringen habe sie bestärkt, den Umzug in eine Seniorenresidenz in einer grösseren Gemeinde zu verschieben. «Dieser Service von Meiringen und die Begegnungen, die ich dadurch machen kann, sind Gold wert und ermöglichen es mir, hier wohnen zu bleiben.»
Diese Rückmeldung hört Gemeindepräsident Roland Frutiger derzeit immer wieder: «Viele würden dieses Angebot gerne auch nach der Corona-Pandemie weiter nutzen.» Die Gemeinde Meiringen hat auch diesen Wunsch gehört und klärt ab, wie er sich erfüllen lässt.