Il muro della diga sulla sponda meridionale del Lago Bianco.

«Gemeinden müssen sich Kompetenzen aneignen»

12.08.2022
7-8 | 2022

Er ist eine feste Grösse, wenn es um Wasserkraft geht: Not Carl, alt Gemeindepräsident von Scuol und Präsident der Bündner Konzessionsgemeinden. Er fordert, dass sich die Gemeinden in Bezug auf Wasserkraft besser aufstellen.

Not Carl, welche Rolle spielen die Bündner Gemeinden bei der Genehmigung neuer oder dem Ausbau bestehender Wasserkraftwerke?

Eine enorm wichtige: Im Kanton Graubünden haben die Gemeinden die Hoheit über die Gewässer und erteilen die Konzessionen bei jedem Kraftwerksbau. De facto arbeiten Gemeinden und Kanton meist eng zusammen, denn Letzterer muss die Konzessionen dann genehmigen.

Die Gemeinden profitieren auch von der Wasserkraft.

Ja, sehr. Die Bündner Konzessionsgemeinden nehmen durch die Wasserkraft jährlich rund 120 Millionen Franken ein, davon rund die Hälfte in Form von Wasserzinsen, die andere Hälfte in Form von Spezialsteuern. Für einzelne Gemeinden machen diese Einnahmen die Hälfte der Steuereinnahmen aus. Zudem bringen die Kraftwerke Leben in die Täler, denn es braucht Personal, um sie zu betreiben, das wiederum die lokale Wirtschaft stärkt, die Kinder in die lokale Schule schickt und Steuern zahlt. Die Gemeinden profitieren aber auch in Form von Sonderkonditionen beim Strombezug und weiteren Leistungen.

Der Grosse Rat des Kantons Graubünden hat Anfang Jahr beschlossen, dass sich der Kanton bei sogenannten Heimfällen, also wenn die Konzession für ein Kraftwerk ausläuft, stärker an den Werken beteiligen soll. Was heisst das für die Gemeinden?

Es stimuliert die Gemeinden, dasselbe zu tun. Betrieben werden die Werke weiterhin von Stromkonzernen, denn Kanton und Gemeinden haben dafür nicht das Know-how. Bei einer höheren Beteiligung kann mehr Geld zurück in die Gemeinden und den Kanton fliessen. Es gilt aber, bei jedem Kraftwerk auch das Risiko abzuwägen. Gerade deshalb ist es zentral, dass die Gemeinden mehr Kompetenz im Bereich Wasserkraft aufbauen. Kanton und Gemeinden haben nicht immer die gleichen Interessen, zumal der Kanton mit seinem Anteil am Stromunternehmen Repower auch gewisse Konzerninteressen wahrnimmt.

Die Verfahren für die Bewilligung neuer oder den Ausbau bestehender Wasserkraftwerke dauern oft sehr lang. Um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga eine Änderung des Energiegesetzes vorgeschlagen. Wie stehen die Bündner Konzessionsgemeinden dazu?

Obwohl wir den Ausbau der erneuerbaren Energien, insbesondere der Fotovoltaik, gerade im Hinblick auf die drohende Stromlücke befürworten, lehnen wir den vorgeschlagenen Weg dezidiert ab. Denn den Gemeinden würde so die verfassungsmässige Bewilligungskompetenz entzogen. Ich empfinde das als skandalös und als demokratiepolitisch äusserst bedenklich. Partizipationsprozesse erachte ich hingegen als enorm wichtig, und sie führen auch dazu, dass Projekte rascher genehmigt werden.

Wo sehen Sie denn Möglichkeiten, um die Verfahren zu beschleunigen?

Es harzt nicht bei Gemeinden und Kantonen – hier funktioniert die Zusammenarbeit. Aber die Prozesse beim Bund dauern teils zu lange, auch aufgrund stets neuer Vorschriften und Richtlinien. Das materielle Recht ist deshalb zu überprüfen. Bei der Güterabwägung dürfen heute nicht allein Umweltanliegen berücksichtigt werden, sondern es muss auch geprüft werden, inwiefern Projekte zur Erreichung der Klimaziele beitragen und wie sie sich auf die Wirtschaft auswirken.

Zur Person

Not Carl präsidiert die Interessengemeinschaft der Bündner Konzessionsgemeinden, die er 2012 gegründet hat. Der Anwalt aus Scuol (GR) beschäftigt sich seit rund 40 Jahren mit der Wasserkraft; so etwa in der Funktion als Gemeindepräsident von Scuol, als Grossrat und als langjähriger Verwaltungsrat der Engadiner Kraftwerke. In dieser Funktion vertritt er die Konzessionsgemeinden.