Freundschaftliche Bande geschlossen: Stéphane Ganzer, Gemeindepräsident von Noble-Contrée (links), und Stefan Zurbriggen, Gemeindepräsident von Saas-Fee.

Gemeindepartnerschaften sollen die Sprachgrenze überbrücken

12.11.2022
11 | 2022

Unterwalliser interessieren sich oft nur mässig für das, was im Oberwallis geschieht – und umgekehrt. Freundschaftsverträge zwischen französisch- und deutschsprachigen Gemeinden sollen nun dazu beitragen, den Raspillegraben zu überbrücken.

Stéphane Ganzer ist Präsident der Gemeinde Noble-Contrée, politisiert seit 2009 im Walliser Kantonsparlament, lehrt am Gymnasium in St-Maurice Geschichte und Geographie. Und: Er weiss, dass es im Wallis um den kantonalen Zusammenhalt nicht immer zum Besten steht. «Zwischen den zwei Kantonsteilen bestehen nur wenige Verbindungen. Gerade bei der Arbeit fällt mir immer wieder auf, wie wenig meine Schüler über das Oberwallis wissen. Es ist eigentliche ‹Terra incognita›», sagt Stéphane Ganzer.

Er plädiert deshalb dafür, die Zweisprachigkeit des Kantons nicht als Hindernis, sondern als Chance zu betrachten. Diese Chance zu ergreifen, ist aus Ganzers Sicht Aufgabe der Gemeinden. Und er hat auch schon eine Vorstellung, wie dies geschehen kann: «Viele Walliser Gemeinden sind bereits Partnerschaften mit anderen schweizerischen oder europäischen Dörfern und Städten eingegangen. Warum also nicht auch eine Partnerschaft mit einer Gemeinde aus dem anderen Kantonsteil eingehen?», fragt Ganzer rhetorisch. Schliesslich gebe es westlich und östlich der Sprachgrenze in etwa gleich viele Gemeinden. Bergdörfer und Talgemeinden, die geographisch zwar nahe beieinander liegen, die für den anderen Kantonsteil aber grösstenteils unbekanntes Land – «Terra incognita» - seien.

Der erste «pacte d’amitié» entsteht

Gemeinsam mit drei weiteren Kantonsparlamentariern reichte Ganzer deshalb im Jahr 2017 ein Postulat ein. Um den kantonalen Zusammenhalt zu stärken, sollte die Walliser Regierung das Eingehen interkantonaler Gemeindepartnerschaften fördern und begleiten. Im Rahmen dieses «pacte d’amitié», wie das Konzept auf Französisch heisst, sollten zwischen den zwei freundschaftlich verbundenen Gemeinden verschiedene Austausche stattfinden: Zwischen Gemeinderäten, Schulen, Vereinen, Senioren.

«Es ist so, dass wir in einem zweisprachigen Kanton leben und die Oberwalliser und Unterwalliser in der Regel viel zu wenig voneinander wissen.»

Charlotte Salzmann-Briand, Gemeindepräsidentin Naters

Da der überparteiliche Vorstoss auch der Walliser Regierung politisch korrekt als «sehr passend» erschien, wurde das Postulat oppositionslos zum Vollzug überwiesen. Keine Selbstverständlichkeit in dem Kanton, in dem sich die deutschsprachige Minderheit (nur rund jeder vierte Einwohner ist deutschsprachig) oft übergangen fühlt und in dem auch immer mal wieder die populistisch wirksame Forderung nach einer Aufteilung in zwei Halbkantone ertönt.

Nach der Annahme des Postulats wollte Stéphane Ganzer als Initiant und Gemeindepräsident natürlich vorangehen. Er kontaktierte den Gemeindepräsidenten von Saas-Fee; einige Monate später war der erste «pacte d’amitiè» offiziell besiegelt. «Wir haben ausgemacht, bei unseren Treffen jeweils die lokale Sprache zu sprechen», erklärt Ganzer. Das bedürfe seitens der Gäste zwar einen gewissen Effort, funktioniere aber letztendlich. Seither haben sich nicht nur die Gemeinderäte der beiden Dörfer ausgetauscht. Auch die Schulkinder absolvierten ihren Herbstspaziergang auf dem Territorium der jeweils anderen Gemeinde; Fussballmatches und Vereinsausflüge, namentlich ein Treffen zwischen den beiden Chören, sind angedacht.   

Ein Leitfaden für interessierte Gemeinden

Inzwischen sind im Wallis weitere «pactes d’amitié» geschlossen worden. Nur wenige Autominuten von Noble-Contrée entfernt ist Crans-Montana einen Freundschaftsvertrag mit der Gemeinde Fiesch eingegangen. Chalais ist nun freundschaftlich mit Grächen verbunden, Grône mit Leukerbad, Icogne mit Ernen und Anniviers mit Naters. Demnächst wollen die Walliser Kantonsbehörden einen Leitfaden für weitere interessierte Gemeinden herausbringen.

Die Natischer Gemeindepräsidentin Charlotte Salzmann-Briand erklärt: «Es ist ja so, dass wir in einem zweisprachigen Kanton leben und die Oberwalliser und Unterwalliser in der Regel viel zu wenig voneinander wissen. Die Vorteile, welche die Zweisprachigkeit bietet, werden viel zu wenig genutzt.» Im Gemeinderat habe deshalb niemand gezögert, als es darum ging, ebenfalls einen «pacte d’amitié» mit einer französischsprachigen Gemeinde einzugehen. Als Minimalziel habe man definiert, mindestens einmal jährlich ein Treffen zwischen den Behörden, den Schulen, der Verwaltung, der Bevölkerung oder den Vereinen der beiden Gemeinden zu organisieren. So ist aktuell etwa ein Schüleraustausch vorgesehen, in dessen Rahmen rund 50 Schülerinnen und Schüler der Orientierungsschule für eine Woche in den anderen Kantonsteil wechseln werden. In der Primarschule werden derweil erste Kontakte in Briefform geknüpft.

Ähnliche Dörfer, ähnliche Dossiers

Bereits weiter fortgeschritten ist die Partnerschaft zwischen Icogne und Ernen. Eine Partnerschaft, die nicht zufällig eingegangen wurde: Beide Gemeinden haben rund fünf- bis sechshundert Einwohner, und in beiden Dörfern spielen der Tourismus und die Wasserzinsen eine Rolle. Geben sich die Gemeinderäte also Tipps, wie man dieses oder jenes Dossier angehen könnte? Der Erner Gemeindepräsident Francesco Walter winkt ab: Vom Ratschläge erteilen halte er nicht viel – vom gegenseitigen Gedankenaustausch aber umso mehr. So habe sich der Icogner Gemeinderat etwa dafür interessiert, wie es möglich sei, dass in Ernen eine Handvoll Restaurants betrieben werden, während es in Icogne kein einziges mehr gebe.

«Warum nicht eine Partnerschaft mit einer Gemeinde aus dem anderen Kantonsteil eingehen?»

Stéphane Ganzer, Gemeindepräsident Noble-Contrée

Umgekehrt hätten die Erner mit dem Icogner Gemeinderat beispielsweise über die geplante neue Kantonsverfassung diskutiert und den Unterwallisern erklärt, weshalb sich die Oberwalliser Minderheit darin Sitzgarantien in den politischen Gremien wünscht. Und sie hätten sich angeschaut, wie das Unterwalliser Dorf in Sachen Feuerwehr mit den umliegenden Gemeinden zusammenarbeite. «Das tun wir zwar auch, aber es schadet nie, zu sehen, wie es andere machen», sagt Walter. Denn nur zusammenzukommen, um einen guten Schluck Wein zu trinken, bringe nicht viel. «Die Idee ist es, Gemeinsamkeiten zu suchen und zu schauen, was man daraus machen kann.»

Fabio Pacozzi
Leiter Kommunikation, Schweizerischer Gemeindeverband