Gleichzeitig Gemeindepräsidentin und Mitglied eines nationalen und kantonalen Parlaments: Das ist in zahlreichen Kantonen möglich.

Gemeinderegierung und Kantonsparlament – Doppelmandat: Problem oder Notwendigkeit?

11.08.2025
9 l 2025

Im Kanton Basel-Landschaft sorgt eine Volksinitiative für Gesprächsstoff: Sie fordert, dass Mitglieder von Gemeinderäten künftig nicht mehr gleichzeitig im Landrat sitzen dürfen. Sie verlangt damit die Trennung von Exekutive und Legislative auf Gemeinde- und Kantonsebene und hinterfragt die Legitimität von Doppelmandaten.

Zurzeit läuft die Unterschriftensammlung zur Initiative «Keine Gemeinderäte im Landrat» im Kanton Basel-Landschaft. Im Fokus: Doppelmandate in Exekutive und Legislative. Aus diesem Anlass wird in dieser Kolumne der Blick auf diese beiden Organe gerichtet. Zunächst rückt die Gewaltentrennung ins Zentrum des Interesses.

Gewaltentrennung – unterschiedliche Ausprägung

Im demokratischen Staatsgefüge gilt im Grundsatz das Prinzip der Gewaltentrennung, sprich: Funktionen von Legislative, Exekutive und Judikative dürfen nicht auf einer Person vereint werden. Entsprechend ist in der Schweiz ein Doppelmandat auf derselben staatlichen Ebene (Bund, Kanton, Gemeinde) nicht (mehr) möglich.

Je nach politischem System kann die Gewaltentrennung im Detail allerdings unterschiedlich ausgestaltet sein. In einem parlamentarischen Regierungssystem wie beispielsweise in Deutschland behalten die Regierungsmitglieder ihr Parlamentsmandat (ausser in Hamburg) und stimmen auch ab. Man spricht in diesem Zusammenhang von einer verschränkten Gewaltentrennung. 

In der Schweiz herrscht jedoch eine strikte Gewaltentrennung, eine sogenannte horizontale Unvereinbarkeit. Wie verhält es sich jedoch mit Doppelmandaten auf unterschiedlichen Staatsebenen?

Doppelmandat – Kantonsregierung/Bundesversammlung

Einige Kantone haben Doppelmandate verboten oder eingeschränkt. Um aus aktuellem Anlass beim Kanton Basel-Landschaft zu bleiben: 

§ Die Mitglieder des Regierungsrates können nicht gleichzeitig der Bundesversammlung angehören. 

Auch diese Bestimmung ist Ausdruck des politischen Systems. Um auf Deutschland zurückzukommen: Die zweite Parlamentskammer auf nationaler Ebene (der Bundesrat) ist ein föderatives Element – daher ist es gewollt, dass die Landesregierungen dort direkt durch Einsitznahme ihre Interessen vertreten. Somit ist der deutsche Bundesrat sehr viel ausgeprägter die Kammer der Länder als der Ständerat in der Schweiz die Kammer der Kantone. 

Doppelmandat – die Initiative

Was für die Kantonsregierung gilt, soll neu auch für die Gemeinderegierungen gelten. Die Initiative des Hauseigentümerverbands (HEV) Baselland will die bestehenden verfassungsmässigen Unvereinbarkeiten ergänzen (fett hervorgehoben): 

§ Richterinnen und Richter sowie Gerichtsschreiberinnen und Gerichtsschreiber der erstinstanzlichen Gerichte, Mitglieder von Behörden selbständiger kantonaler Betriebe, Mitglieder der Gemeinderäte sowie höhere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Staatsverwaltung können dem Landrat nicht angehören. 

Doppelmandat – Gemeindeexekutive und Kantonsparlament 

Neuenburg ist der einzige Kanton, der mit Beginn der Legislaturperiode 2021–2025 ein umfassendes und striktes Verbot von Doppelmandaten zwischen erster und zweiter Staatsebene etabliert hat:

§ Kein Mitglied des Gemeinderates darf im Grossen Rat sitzen.

Die vorberatende Kommission zur Gesetzesänderung hob in ihrem Bericht einerseits hervor, dass die Mitglieder der Gemeindeexekutive bei der Behandlung bestimmter Dossiers unterschiedliche und relevante Sichtweisen und Visionen einbrächten, was die parlamentarische Debatte bereichere, und das Lösungsspektrum erweitere. Andererseits solle mit der neuen Bestimmung verhindert werden, dass sich die politische Klasse auf einige wenige Amtsträger beschränkt. Es würde sich ansonsten die Meinungsvielfalt verringern und es könne beim Wähler der Eindruck entstehen, dass sich die politischen Instanzen in einem Vakuum befänden, wenn auf den verschiedenen Staatsebenen immer wieder dieselben Personen zu sehen seien.

Einzelne Gemeinden anderer Kantone haben die Unvereinbarkeit für sich geregelt. So dürfen beispielsweise die Mitglieder der Zürcher wie auch der Bieler Stadtregierung nicht der kantonalen Legislative angehören. In anderen Gemeinden wiederum scheiterten solche Vorgaben. Die vertikale Unvereinbarkeit bleibt – über die ganze Schweiz betrachtet – jedoch eine Ausnahme.

Gemeindeexekutiven – sind Vertreter von… 

Der HEV will mit seiner Initiative, wie seiner Homepage zu entnehmen ist, «eine klare Rollenverteilung in den politischen Gremien» und sieht einen «systematischen Interessenkonflikt, wenn Gemeinderäte im Landrat über kantonale Abgaben und Infrastrukturprojekte mitentscheiden».

Der Verband Basellandschaftlicher Gemeinden hob als Reaktion seinerseits in seiner Medienmitteilung hervor, Gemeinderatsmitglieder könnten aufgrund ihrer Erfahrung dazu beitragen, praxistaugliche kantonale Gesetze zu erarbeiten und die finanzielle Machbarkeit sicherzustellen.

Beide Meinungen konstatieren den Gemeindevertretern einen Einfluss – dieser wird aber in der Konsequenz unterschiedlich gewertet.

Kürzlich beriet der Solothurner Kantonsrat den Massnahmenplan zur Stabilisierung des Finanzhaushalts – mit Implikationen auf die Gemeinden. Nach Beratung des Geschäfts wurde der Präsident des Verbands der Solothurner Einwohnergemeinden in der Solothurner Zeitung zitiert, wonach er sich ärgerte, dass Gemeindevertreter im Kantonsparlament nicht selten gegen Gemeindeinteressen stimmten.

Dies zeigt auch eine Realität: Die Interessenvertretung ist vielschichtig, da die Perspektive entscheidend für die jeweilige Wahrnehmung ist – sei es die Perspektive der («eigenen») Gemeinde, Partei, persönlicher Erfahrungen, wissenschaftlicher Betrachtungen, beruflicher Hintergründe etc.

Der Blick in den Kanton Neuenburg

Gegen die Bestimmung (im Jahr 2019 beraten/beschlossen) wurde beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht. Die Beschwerdeführer argumentieren, dass das Verbot unverhältnismässig sei und gegen den Gleichheitssatz verstosse (Art. 8 Abs. 1 BV), da kein öffentliches Interesse bestehe, Gemeinderäte von der gleichzeitigen Mitgliedschaft im Kantonsparlament auszuschliessen. Das Bundesgericht wies die Beschwerde letztlich zurück. 

Beim Studium der Berichte, Protokolle und Medienberichte zur Regelung, die das gleichzeitige Mandat in Gemeinderat und Kantonsparlament verbietet, fällt auf, dass La Chaux-de-Fonds – mit fünf seiner Exekutivmitglieder im Parlament – häufig implizit oder explizit als Auslöser für das Verbot der Ämterkumulation genannt wurde. Tatsächlich schätzten einige den Einfluss dieser fünf Exekutivmitglieder politisch als ausgesprochen stark ein. Der Rückblick zeigt aber, dass auch andere Exekutiven im Kantonsparlament präsent waren.

Für diese Kolumne wurde beim Gemeindepräsidenten von La Chaux-de-Fonds nachgefragt, der einst ein Doppelmandat innehatte, wie er die Situation heute mit etwas Abstand beurteile. Die neue Regelung hat ihm zufolge dazu geführt, dass die Gemeinden im Rahmen des Zusammenschlusses aller Gemeinden (Association des communes neuchâteloises, ACN) enger zusammenarbeiteten und dadurch deutlich geschlossener aufträten. «Der kantonale und regionale Zusammenhalt hat sich dadurch zweifellos verbessert.» Gleichzeitig sei es jedoch fraglich, ob Kantonsparlament und -regierung durch die neue Bestimmung tatsächlich gestärkt wurden.

Der Blick nach Frankreich

In Frankreich gab es im Jahr 2014 (mit Wirkung ab 2017) eine umfassende und nicht unumstrittene Reform: Es wurde ein Gesetz für ein Verbot der Kumulierung von lokalen Exekutivfunktionen mit dem Mandat eines Abgeordneten oder Senators beschlossen. Dies betrifft das Amt des Bürgermeisters, Vizebürgermeisters, Bezirksbürgermeisters oder stellvertretenden Bürgermeisters (und einige mehr). Frankreich war die Ämteranhäufung betreffend im Vergleich zu anderen Staaten lange an der Spitze, sie war gar ein herausragendes Merkmal des französischen politischen Systems. Wie Le Monde 2013 analysierte, seien zu jenem Zeitpunkt 536 Mandatsträger (!) der beiden Parlamentskammern vom Gesetz betroffen gewesen.

Michael Strebel
Professor für Politikwissenschaft