
Gesamtstrategie Asyl: Von den Erfahrungen der Gemeinden lernen
Fast 28 000 Asylgesuche wurden 2024 gestellt, rund 12 000 Gesuche sind derzeit offen. Das Asylwesen ist eine riesige Aufgabe für die Schweiz – insbesondere auch für die Gemeinden und Städte, in denen die Asylsuchenden untergebracht sind. Der SGV hat im letzten Herbst dafür gekämpft, dass die kommunale Ebene in Bundesbern mit am Tisch sitzt. Direktorin Claudia Kratochvil gibt Auskunft über die aktuellen Entwicklungen – und sagt, weshalb es sich gelohnt hat, laut zu sein.
Es war ein Weckruf, das Interview mit Claudia Kratochvil, Direktorin des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV). In der NZZ am Sonntag sagte sie Ende Januar, die Gemeinden seien wegen der angespannten Asyllage am Anschlag und hätten grosse Mühe, Unterbringungsmöglichkeiten für die Menschen zu finden. Obwohl die Zahl der Asylgesuche im Jahr 2024 leicht zurückging, blieb sie noch immer auf einem sehr hohen Niveau: Rund 28 000 Personen stellten ein Asylgesuch und 17 000 Personen erhielten den Schutzstatus S. Das sind 45 000 Menschen und damit mehr als auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015. Hinzu kamen die rund 12 000 hängigen Gesuche beim Staatssekretariat für Migration (SEM). Hier konnte der Pendenzenberg zwar abgebaut werden, was der SGV begrüsst – doch 12 000 hängige Gesuche bedeuten immer noch 12 000 Menschen, die in einer Gemeinde oder Stadt untergebracht sind und auf einen Bescheid warten, teilweise seit Monaten oder Jahren.
Der Weckruf des SGV wurde gehört. Am Tag, nachdem das Interview erschienen war, meldete sich das Generalsekretariat des für Migrationsfragen zuständigen Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD): Bundesrat Beat Jans wünsche ein Treffen mit dem Präsidium und der Direktion des Gemeindeverbands. «Wir hatten bei dem Treffen Mitte März Gelegenheit, zu schildern, wo aus Sicht der Gemeinden der Schuh drückt», sagt Claudia Kratochvil. Bundesrat Beat Jans habe betont, dass er die Sorgen der Gemeinden ernst nehme. «Wir sind an Lösungen interessiert und froh, dass wir nun auf nationaler Ebene eingebunden sind», fasst die SGV-Direktorin zusammen.

Kritik an Sparmassnahmen
Das NZZ-Interview war nicht der erste Weckruf an den Bund. Bereits im Herbst 2024 wurden Gemeinden und Kantone laut. Doch von vorn: Bundesrat Beat Jans lancierte die Gesamtstrategie Asyl im Frühjahr 2024, ohne jedoch die Städte und Gemeinden im Lenkungsausschuss, dem strategisch-politischen Führungsgremium, mit einzubeziehen. Ziel der Strategie ist es, das Asylgesetz und die Integrationsagenda fünf Jahre nach deren Inkrafttreten vertieft zu analysieren.
Im Sommer dann stellte der Bund den Gaillard-Bericht vor, der zahlreiche Sparmassnahmen für den Bund vorsieht. Darunter fiel auch eine massive Kürzung der Globalpauschale für die Integration der Flüchtlinge, die der Bund an Kantone und Gemeinden zahlt. «Eine Kürzung hätte massive finanzielle Konsequenzen für die Gemeinden», hält Claudia Kratochvil fest. Kantone sowie Städte und Gemeinden teilten ihre Kritik in einem Brief mit und verweigerten bis auf Weiteres die Zusammenarbeit in der Gesamtstrategie Asyl.
Der Bund kam den Gemeinden daraufhin entgegen: Der Schweizerische Gemeindeverband sowie der Schweizerische Städteverband (SSV) sind seit November 2024 im Lenkungsausschuss der Gesamtstrategie Asyl eingebunden und damit im obersten politischen Führungsgremium der Gesamtstrategie. Der SGV ist derzeit mit Vizepräsident und dem Gemeindepräsidenten von Gossau (ZH) Jörg Kündig vertreten. «Für uns ist es zentral, dass alle drei Staatsebenen auf Augenhöhe diskutieren können. Schliesslich ist das Asylwesen eine Verbundaufgabe», sagt Claudia Kratochvil. Das sei nun der Fall. «Die Zusammenarbeit ist gut. Wir fühlen uns gehört.»

«Für uns ist es zentral, dass alle drei Staatsebenen auf Augenhöhe diskutieren können. Schliesslich ist das Asylwesen eine Verbundaufgabe.»
Erfahrungen aus der Praxis mit einbeziehen
Sie betont: «Städte und Gemeinden stehen hinter dem Asylgesetz. Die Verfahren haben sich grundsätzlich bewährt.» In der Gesamtstrategie Asyl gehe es darum, die Entwicklungen seit dem Inkrafttreten zu analysieren. Zumal sich die Lage seit dem Beginn des Ukrainekriegs 2022 und der damit verbundenen erstmaligen Anwendung des Schutzstatus S stark verändert hat.
Die Gesamtstrategie Asyl hat vier Schwerpunkte definiert: Asyl, die irreguläre Migration, die Integration sowie den Schutzstatus S. Gleichzeitig wurde eine Taskforce gebildet, die Massnahmen im Zusammenhang mit kriminellen Asylsuchenden entwickeln soll. Die Erfahrungen der Gemeinden und Städte, die nahe an der Praxis sind, sollen in die Analyse mit einfliessen. Ein zentraler Punkt wird es auch sein, die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Staatsebenen unter die Lupe zu nehmen. «Der Informationsfluss zu den Gemeinden kann noch deutlich optimiert werden. Die Prozesse müssen so aufgestellt sein, dass wir gemeinsam optimal agieren können», sagt Claudia Kratochvil. Ebenfalls wichtig sei, dass die Bundesebene ihre Aufgabe stärker wahrnehme und die Pendenzen abgebaut würden.
Ende 2025 ist eine nationale Asylkonferenz geplant, an der die Eckwerte der Analyse politisch diskutiert werden. Konkrete Lösungen und Handlungsempfehlungen werden in einem zweiten Schritt für 2026 erwartet.
2025 deutlich weniger Asylgesuche erwartet
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) rechnet für 2025 mit weniger Asylgesuchen als in den Vorjahren, wie es kürzlich mitteilte. Konkret dürften 24 000 neue Asylgesuche gestellt werden, was 4000 weniger sind als 2024, als knapp 28 000 Gesuche eingereicht wurden. «Diese Zahlen sind grundsätzlich positive Nachrichten», sagt SGV-Direktorin Claudia Kratochvil. Solange jedoch der Ukrainekrieg andauere und sich die weltweite geopolitische Lage nicht entspanne, bleibe die Situation für die Schweiz volatil.