
Güttingen: Und plötzlich hat es Boom gemacht
Die Gemeinde Güttingen (TG) ist beim neuesten Minergie-Rating in der Kategorie «mittlere Gemeinde» innerhalb von drei Jahren vom 16. Platz auf das oberste Treppchen gestiegen und teilt diesen Platz mit der Waadtländer Gemeinde Epalinges. Ein Besuch in Güttingen am Bodensee zeigt, wie diese Verbesserung gelungen ist. In den beiden anderen Kategorien des Ratings gewinnt bei den grossen Gemeinden Weinfelden (TG), bei den kleinen siegt Rossemaison (JU).
An der Bahnhofstrasse in Güttingen (TG) wird auf beiden Seiten rege gebaut. Kurz vor dem Ende der Strasse entsteht beispielsweise ein Mehrfamilienhaus mit 40 Wohnungen. Nachdem zuerst die Nachbargemeinden einen Bauboom erlebt haben, ist nun Güttingen an der Reihe. Bereits im letzten Jahr lag Güttingen bezüglich Bauaktivitäten interkantonal an dritter Stelle.
Die Gemeinden im Kanton Thurgau sind klimafreundlich unterwegs: Im Minergie-Rating 2025 hat der Kanton mit sechs Gemeinden am meisten Top-Ten-Platzierungen über alle drei Kategorien hinweg, gefolgt vom Kanton Waadt. Bei der Kategorie «mittlere Gemeinde» muss sich Güttingen das oberste Treppchen denn auch mit der Waadtländer Gemeinde Epalinges teilen. Bei den grossen Gemeinden teilen sich mit Weinfelden und Frauenfeld gar zwei Thurgauer Gemeinden die ersten zwei Plätze.
«Der Kanton Thurgau unterstützt seit vielen Jahren den Bau und die Sanierung von Gebäuden nach Minergie-Standard mit finanziellen Beiträgen. Aktuell werden insbesondere Minergie-P-Neubauten gefördert, wobei bei einer zusätzlichen ECO-Zertifizierung Zusatzbeiträge möglich sind», sagt Rahel Haag, stellvertretende Leiterin der Dienststelle für Kommunikation des Kantons Thurgau. Der Kanton zeichnet zudem alle drei Jahre die besten Minergie-P- und Minergie-A-Neubauprojekte sowie herausragende Minergie-Sanierungen im Rahmen der Veranstaltungen «Best of Minergie» beziehungsweise des Energiepreises aus.
Ein grosses Wachstum in fünf Jahren
Vor drei Jahren zählte die Gemeinde Güttingen 1700 Einwohnerinnen und Einwohner, aktuell sind es 1850, es sind jedoch noch 150 Wohnungen im Bau, wodurch Güttingen in weniger als fünf Jahren einen Anstieg von gegen 17 Prozent der Einwohnerzahl erleben wird. «Es ist natürlich die schönste Seegemeinde des Bodensees», begründet Urs Rutishauser, Gemeindepräsident von Güttingen, scherzend, weshalb so viele Leute in Güttingen wohnen wollen. Ernsthaft sieht er die ÖV-Anbindung nach Kreuzlingen, Zürich und St. Gallen im Halbstundentakt, das Naherholungsgebiet mit einem der grössten Eichenwälder in Europa und die kurzen Wege als Pluspunkte für die Gemeinde.
Das Wachstum sieht er als Hauptgrund für den Aufstieg im Rating. «Grössere Bauherrschaften machen sich übergeordnete Gedanken und wissen, dass sich eine Minergie-Zertifizierung wirtschaftlich rechnet», sagt der Güttinger Gemeindepräsident. «Wir hatten gerade seeseitig noch mehrere Tausend Quadratmeter Bauland zur Verfügung.» Ein Aushängeschild ist die Alte Schmitte, eine Überbauung mit sechs Gebäuden gegenüber dem Gemeindehaus. Die Stromproduktion der Photovoltaikanlagen auf den Dächern und an der Fassade übersteigt den Eigenverbrauch, wodurch auch noch der Detaillist über die Strasse mit Strom versorgt werden kann.
«Dass wir schweizweit an erster Stelle stehen, ist für mich aber schon überraschend», gibt Urs Rutishauser zu. Speziell gefördert wird der Bau nach Minergie in der Gemeinde nicht, trotzdem ist der Gemeindepräsident überzeugt, dass Güttingen eine Gemeinde ist, der das Klima am Herzen liegt. «Das sehen wir auch bei den Abstimmungen», sagt er und spricht damit die Genehmigung einer 500 Meter langen Leitung an, dank der die Überbauung «Seewärts» an den Wärmeverbund angeschlossen werden kann. Selbst hat die Gemeinde das Schulhaus nach Minergie gebaut, und auch beim neuen Werkhof, der im Sommer 2026 fertiggestellt werden soll, wird eine Minergie-Zertifizierung angestrebt. «Als Bauherrschaft ist Minergie eine praktische Sache, es gibt uns ein starkes Vertrauen, dass beim Gebäude ein hoher Standard erreicht wird.»
Strom soll in der Gemeinde bleiben
Gerade beim Strom ist laut Rutishauser in Güttingen noch mehr möglich. «Unser übergeordnetes Ziel ist, den auf den Dächern produzierten Strom bei uns in der Gemeinde zu nutzen – Stichwort lokale Elektrizitätsgemeinschaften –, damit wir irgendwann autark sind.» Da sieht er die Verantwortung aber auch bei den Eigenheimbesitzerinnen und -besitzern. Antragstellende für eine Photovoltaikanlage werden oft von der Bauverwaltung kontaktiert, um sicherzustellen, dass der produzierte Strom auch genutzt wird. Ein Energiemanagementsystem sorgt beispielsweise dafür, dass die Wärmepumpe oder das Elektroauto dann mit Strom versorgt werden, wenn der Strom auf dem Dach produziert wird. Aktuell deckt die Gemeinde bereits einen grossen Anteil des Strombedarfs mit Strom der Photovoltaikanlagen auf den Dächern. Und eines ist sicher: Macht die Gemeinde so weiter, wird sie auch beim nächsten Rating unter den vordersten Plätzen zu finden sein.
Minergie-Areal
Den neuen Standard gibt es seit 2023. Ein Minergie-Areal geht von einer Mischung aus Bestandes- und Neubauten aus. In Minergie-Arealen ist die Mehrheit der Gebäude nach einem der Gebäudestandards Minergie zertifiziert und erfüllt damit hohe Ansprüche an Komfort, Effizienz und Klimaschutz. Ergänzend dazu sind im Areal Anforderungen an die Umgebung, die Mobilität und die Organisation definiert.