
«Ich stelle mich gerne in den Dienst der Bevölkerung»
Als junger Mann hat César Murangira den Genozid an den Tutsi in Ruanda überlebt – heute ist er Gemeinderat in Marly (FR). Mit Politik aufgewachsen, war es für ihn gar keine Frage, sich in der Schweiz politisch zu engagieren. Im Gespräch mit der «Schweizer Gemeinde» erzählt er, was ihm sein Engagement bedeutet und wie ihn seine Erfahrungen aus Ruanda geprägt haben.
«Ich bin in die Politik hineingewachsen», erzählt César Murangira. Er ist Gemeinderat von Marly und sitzt an diesem warmen Frühlingsnachmittag im grossen Sitzungszimmer der Gemeindeverwaltung der Freiburger Agglomerationsgemeinde. Er wirkt zunächst reserviert, aber seine Erzählung nimmt bald Fahrt auf. Sie führt uns mehr als 40 Jahre zurück, nach Ruanda, wo er aufgewachsen ist: «Mein Vater war Lokalpolitiker. Ich erinnere mich, wie jeweils die Leute aus unserem Ort zu uns nach Hause kamen und mein Vater sich um ihre Probleme kümmerte.» César Murangiras Vater ist heute nicht mehr da, um seinem Sohn seine politischen Erfahrungen weiterzugeben. Er kam beim Genozid an der Tutsi-Minderheit 1994 in Ruanda ums Leben – ebenso wie zahlreiche weitere Familienmitglieder von César Murangira.
«Diese Erfahrung ist ein Teil von mir und hat mich geprägt. Aber ich glaube nicht, dass sie meine Art zu politisieren, beeinflusst», sagt César Murangira nachdenklich. Er versuche, nach vorne zu blicken. Dann fügt er an: «Manchmal hilft mir meine Geschichte, Situationen zu relativieren. Ich sage dann jeweils: Die Situation jetzt ist nicht gut, aber sie ist nicht das Ende der Welt – und ich habe das Ende der Welt erlebt.»
Partei mit aufgebaut
1997 kam César Murangira in die Schweiz; nicht als Flüchtling, sondern als Student. Er studierte an der Universität Freiburg Soziale Arbeit, Sozialpolitik und Soziologie. Später zog er mit seiner Schweizer Frau nach Marly (FR). Heute wohnt er noch immer da und arbeitet bei der Sozialarbeit der Stadt Freiburg. Die Frage, auch in seiner neuen Heimat politisch aktiv zu sein, habe sich ihm gar nie gestellt, sagt César Murangira und fügt an: «Politische Verantwortung zu übernehmen ist für mich selbstverständlich.»
Zunächst informierte sich César Murangira über die verschiedenen Parteien. Er landete bei den Grünen, weil ihm das Engagement für die Umwelt sehr wichtig ist. «Damals war die Partei noch sehr klein, und es ging darum, sie aufzubauen und am Parteiprogramm zu arbeiten.» Er war Mitgründer der Sektion im Saanebezirk sowie in seinem Wohnort Marly. 2016 traten die Grünen erstmals bei den Wahlen in Marly mit einer eigenen Liste an, und César Murangira wurde in das Gemeindeparlament, den Generalrat, gewählt. 2021 reichte es für den Sprung in die Exekutive. «Ich bin der erste grüne Gemeinderat von Marly», sagt er nicht ohne Stolz.
Gleichzeitig ist ihm bewusst: In der Gemeindepolitik zählt es vor allem, in den Gremien gut zusammen zu arbeiten und einen Konsens zu finden. «Ich möchte nicht moralisieren, sondern mit guten Beispielen vorangehen.» Ein Beispiel: Er regte an, in der ausserschulischen Betreuung konsequent mit Bio-Lebensmitteln möglichst aus der Region zu kochen. «Das kommt nicht nur den Kindern zugute, sondern wir unterstützen damit auch Bauern in der Region – zudem sind die Wege kurz, was das Klima schont.» Eine Idee, die in Marly gut ankam und mittlerweile umgesetzt ist (siehe Artikel in der Schweizer Gemeinde 2/2024).
Kommentare zur Herkunft
Zu seiner Herkunft gab es im Wahlkampf Kommentare. «Die Politik ist nie einfach, und vor allem nicht wenn man aus Afrika kommt, einem unterschätzten Kontinent», sagt er, und fügt an: «Man spricht hier von einem Afrika, dabei ist der Kontinent so vielfältig, gibt es so viele verschiedene Länder und Kulturen.» Er, der eher reserviert auftritt, empfindet es sogar als Vorteil, unterschätzt zu werden: «Ich überrasche die Menschen.» Was andere über ihn denken, sei ihm egal, sagt er und lacht: «Vielleicht bin ich deshalb in der Politik.» Auf die Frage, woher er komme, antwortet er konsequent: «Aus Marly.»
«Die Politik ist nie einfach, besonders nicht, wenn man aus Afrika kommt, einem stets unterschätzten Kontinent.»
César Murangira ist einer von wenigen Gemeindepolitikern der Schweiz mit Migrationshintergrund. Was könnte man tun, um das zu ändern? Er überlegt lange. Schliesslich sagt er: «Einfachere Einbürgerungen würden helfen, damit sich die Menschen hier wirklich zuhause fühlen und auch Verantwortung übernehmen möchten.» Er denkt auch, dass eine bessere Entlöhnung die Milizämter attraktiver machen würden. Ein Gemeinderatsamt brauche enorm viel Engagement, die Dossiers seien komplex. Man müsse wirklich für die Politik brennen. César Murangira tut das: «Ich stelle mich gerne in den Dienst der Bevölkerung. Die Schweiz und die Gemeinde Marly haben mir die Möglichkeit gegeben, das zu tun.»