Wie hält man die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und wie findet man neue?

In der öffentlichen Verwaltung fehlen Fachkräfte

21.03.2022
3 | 2022

Der Fachkräftemangel in der Schweiz stellt auch für die öffentliche Verwaltung eine Belastung dar. Was sind die Gründe? Welche Lösungen bieten sich an?

Im Jahr 2020 waren in der Schweiz gemäss Bundesamt für Statistik knapp 220 000 Personen in der öffentlichen Verwaltung erwerbstätig. Vor fünf Jahren waren es noch zirka 200 000 Angestellte. Der Bedarf an Fachkräften in Gemeinden und anderen öffentlichen Verwaltungsstellen ist gestiegen. Doch Angebot und Nachfrage scheinen in einem Ungleichgewicht zueinander zu stehen: «Wir stellen fest, dass es in der öffentlichen Verwaltung schwieriger geworden ist, qualifizierte Mitarbeitende zu rekrutieren», berichtet Adrian Ritz, Professor am Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern (siehe auch Interview). So seien insbesondere Stellen in den Bereichen Management und Infrastruktur derzeit schwer zu besetzen.

Von einem ähnlichen Bild wie in der Privatwirtschaft spricht auch René Barmettler, Mandatsleiter der Jörg Lienert AG in Luzern, die auf die Suche und die Selektion von Fach- und Führungskräften, unter anderem für Gemeindeverwaltungen, spezialisiert ist: «Funktionen, die in der Privatwirtschaft schwierig zu besetzen sind, sind es auch bei Gemeindeverwaltungen.»

Attraktivität von verschiedenen Faktoren abhängig

Konkret von diesem Fachkräftemangel betroffen seien die Funktionen Leitung Immobilien/Liegenschaften und Hochbau. Hingegen seien Vakanzen in den Bereichen Finanzen, Gemeindeschreiber und Geschäftsführung meist einfacher zu besetzen. René Barmettler zieht noch einen weiteren Vergleich zur Privatwirtschaft: «Die Attraktivität als Arbeitgeberin mit verschiedenen Facetten wie Region, Grösse, Identität, Reputation usw. ist sowohl für die Privatwirtschaft als auch für Gemeindeverwaltungen von zentraler Bedeutung.» So stelle es eine besondere Herausforderung dar, geeignetes Personal zu finden, wenn eine Gemeinde politisch nicht stabil sei, einen schlechten Ruf oder eine hohe Fluktuation bei den Mitarbeitenden habe. Städte und ländliche Gemeinden sind laut René Barmettler aufgrund ihrer Grösse und Region etwas weniger vom Fachkräftemangel betroffen als Dörfer in Berggebieten. «In kleinen Gemeinden sind zudem vermehrt auch Generalistinnen und Generalisten gefragt», ergänzt der Personalspezialist.

Vermehrt in der Öffentlichkeit

Weil Gemeinden bzw. deren Verwaltungen vermehrt in der Öffentlichkeit stehen und medial beobachtet werden, geraten sie auch als Arbeitgeber immer mehr ins Rampenlicht. Da es – so René Barmettler – um Steuergelder gehe, herrsche eine grössere Sensibilität gegenüber Gemeindeverwaltungen. Dies wiederum habe Auswirkungen auf die Personen, die in einer Gemeindeverwaltung arbeiteten. «Hier braucht es neben diplomatischem Geschick auch klare, adressatengerichtete Kommunikationsfähigkeiten, eine hohe Dienstleistungsbereitschaft und neben weiteren Kompetenzen ein Gefühl für die öffentliche Wahrnehmung», betont René Barmettler. Wenn es für gewisse Gemeinden immer schwieriger wird, geeignetes Fachpersonal zu finden, kommen dann auch Personen mit einer niedrigeren Qualifikation oder gar Fachkräfte aus dem Ausland zum Zug? «Das kann ich so nicht bestätigen», gibt René Barmettler zur Antwort, «aber die Offenheit und Bereitschaft, Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern eine Chance zu geben, hat sicher zugenommen.»

Attraktiver Lehrberuf

Um dem Fachkräftemangel entgegenzusteuern, sind die Gemeinden auf junge Berufsleute angewiesen, die sich für eine berufliche Grundbildung in der öffentlichen Verwaltung entscheiden und anschliessend als ausgelernte Fachkräfte zur Verfügung stehen. 2020 absolvierten gemäss Bundesamt für Statistik 295 000 Jugendliche eine KV-Lehre in der öffentlichen Verwaltung. Die Berufsbildung auf Gemeindeverwaltungen ist laut René Barmettler attraktiv. «Der Fachkräftemangel hat für mich keinen direkten Zusammenhang mit der Lehrlingsrekrutierung. Es ist mehr eine Frage der Perspektive, der Weiterentwicklungsmöglichkeiten und des Signals, das bestehende Mitarbeitende, die man ausgebildet hat, gefördert werden.»

 

Nachfrage nach temporären Arbeitskräften steigt

Der Anteil an temporären Arbeitskräften in der öffentlichen Hand beträgt laut Nicolas Wicht, Partner und Geschäftsleitungsmitglied der Federas Beratung AG in Zürich, nur wenige Promille – dies im Vergleich zur Privatwirtschaft mit zwei Prozent. «Die Nachfrage nach temporären Mitarbeitenden bzw. Springerinnen und Springern in der öffentlichen Verwaltung ist in den letzten fünf Jahren deutlich gestiegen», berichtet Nicolas Wicht. Die Vielfalt an Spezialisten erschwere die Suche nach temporären Arbeitskräften. Hinzu komme, dass die gesetzlichen Unterschiede zwischen den Kantonen den Einsatz von Fachkräften aus anderen Kantonen für temporäre Einsätze oft verunmöglichten, denn die Einarbeitungszeit sei oft länger als der Einsatz.

 

«Gemeinden sollen ihre Stärken zeigen»

Was sagt die Wissenschaft zum Fachkräftemangel in den öffentlichen Verwaltungen? Im Gespräch mit Professor Adrian Ritz, Kompetenzzentrum für Public Management der Universität Bern.

Schweizer Gemeinde: Die öffentliche Verwaltung hat Mühe, geeignete Fachkräfte zu rekrutieren. Wo sehen Sie die Gründe für diese Entwicklung?

Adrian Ritz: Zentral ist die Alterung der Bevölkerung und für ländliche Gebiete die Anziehungskraft des urbanen Raums. Dazu kommt, dass Verwaltungsstellen oft spezifische Qualifikationen wie rechtliches Wissen verlangen. Experten- bzw. Fachfunktionen stehen dabei im Vordergrund. Die Gemeinden als Arbeitgeber sind zudem eher traditionell ausgerichtet und positionieren sich weniger modern. Ihre Berufsbilder reformieren sich weniger schnell als in der Privatwirtschaft. Der Beruf des Gemeindeschreibers wirkt aufgrund seiner Bezeichnung antiquiert. Oft fehlen auch Geschäftsleitungsstrukturen, was zu Flaschenhalseffekten führt. Das beeinflusst die Attraktivität der Stellen auf dem Arbeitsmarkt.

Welche Rolle spielt die Akademisierung vieler Berufe?

Ritz: Kleingemeinden haben kaum akademisch ausgerichtete Berufe. Doch die Anforderungen im Berufsfeld haben sich verändert und sind gestiegen. Besonders in ländlichen Regionen ist es schwierig, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Diese konzentrieren sich auf grössere Gemeinden, wo ein höherer Spezialisierungsgrad oder mehr Perspektiven bestehen.

Mit welchen Arbeitgebern stehen Gemeinden im direkten Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt?

Ritz: Mit der lokalen Wirtschaft, die ebenfalls Fachkräfte für das Management, Finanzwesen oder den technischen Bereich sowie die Infrastruktur sucht.

Wie können Gemeinden dem Fachkräftemangel entgegentreten?

Ritz: Allgemein müssen sie ihre Arbeitgeberattraktivität stärken, indem sie flexible Arbeitsorganisationen schaffen, sich von Einzel- zu Teamstrukturen bewegen und ihr Personalmarketing verstärken. Gemeinden sollten ihre Stärken vermehrt in den Vordergrund stellen – zum Beispiel die hohe Arbeitsplatzsicherheit und die Work-Life-Balance, den Gemeinwohlbeitrag, die Unterstützung von Weiterbildung, das gute Gehaltsniveau oder Teilzeitmöglichkeiten.

Manche Gemeinden schliessen sich zusammen oder bilden Kooperationen. Was trägt dies aus Ihrer Sicht zur Personalsituation bei?

Ritz: Strukturelle Lösungen werden klar wichtiger. Gewisse Tätigkeiten lassen sich an private Treuhand- und Ingenieurbüros oder an den Kanton auslagern. Verbundlösungen und Fusionen lindern das Fachkräfteproblem auch und können die Attraktivität von Stellen erhöhen, doch oft brauchen sie Zeit. An vielen Orten sollte vorerst das klassische Verwaltungsleitermodell hin zu einem Geschäftsleitungsmodell entwickelt werden. In einer solchen Struktur werden Aufgaben stärker delegiert, unterschiedliches Wissen integriert und Entscheidungen verbessert. Gute Leute wollen Verantwortung übernehmen.

Mit welcher Entwicklung rechnen Sie in Zukunft?

Ritz: Der Fachkräftemangel wird nicht rasch verschwinden. Es gilt, das Arbeitskräfteangebot durch Qualifizierungsoffensiven, Neuzuzüger und Flexibilisierung der Ruhestandsregelung zu erhöhen.