In Muolen im Kanton St. Gallen setzt man auf innovative Arbeitsmodelle, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

In Muolen setzt man auf die geteilte Leitung

21.03.2022
3 | 2022

In der st. gallischen Gemeinde Muolen leiten zwei Frauen in Teilzeit gemeinsam das Einwohneramt. Topsharing nennt sich dieses Modell und ist eine mögliche Massnahme, nicht nur Privat- und Berufsleben besser vereinbaren, sondern auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken zu können.

Privatwirtschaftliche Unternehmen gewinnen Fachkräfte typischerweise mit Angeboten für sich, die der öffentlichen Verwaltung nicht immer zur Verfügung stehen. Stadt- und Gemeindeverwaltungen können dem Fachkräftemangel beispielsweise durch die Einführung neuer Arbeitsmodelle begegnen. Dieser Thematik widmet sich das Projekt «Förderung gleichberechtigter Teilhabe an (Kader-)Positionen in Schweizer Gemeindeverwaltungen» der Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW (vgl. Kasten). In zehn Gemeinden werden fünf innovative Arbeitsmodelle implementiert, eines davon ist «Topsharing».

Beim Jobsharing teilen sich zwei oder mehr Personen eine Vollzeitstelle mit voneinander abhängigen Aufgaben und gemeinsamer Verantwortung. Topsharing bedeutet Jobsharing in Leitungspositionen mit hoher Verantwortung. Topsharing bietet Potenzial für Gemeindeverwaltungen, die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben zu erhöhen. Frauen und Männern als qualifizierten Fachkräften ist es so möglich, einer verantwortungsvollen Tätigkeit im Rahmen eines Teilzeitpensums nachzugehen.

Neue Arbeitsmodelle müssen gut geplant werden

Die Einführung neuer Arbeitsmodelle ist jedoch keine alltägliche Angelegenheit und bedarf guter Planung und der Berücksichtigung organisationsspezifischer Gegebenheiten, denn öffentliche Verwaltungen sind in vielerlei Hinsicht nicht mit privatwirtschaftlichen Unternehmen vergleichbar. Deshalb wurden im genannten Projekt zunächst «Good Practice»-Untersuchungen in Gemeindeverwaltungen durchgeführt, welche die Arbeitsmodelle bereits implementiert haben und Erfahrungen aus erster Hand teilen.

Eine dieser «Good Practice»-Verwaltungen ist die Gemeinde Muolen im Kanton St. Gallen, die knapp 1250 Einwohnerinnen und Einwohner umfasst. Das Team der Verwaltung besteht aus aktuell sechs Personen mit total 380 Stellenprozenten, wobei die Leitung des Einwohneramtes im Topsharing durch zwei Frauen geteilt wird. Die Gemeinde setzt sich für die Einführung innovativer Arbeitsmodelle ein. Gemeindepräsident Bernhard Keller betont: «Man muss sich etwas trauen und Neues ausprobieren, um sich als attraktive Arbeitgeberin zu beweisen und dem Fachkräftemangel unter qualifizierten Verwaltungsfachpersonen entgegenzuwirken.» Dies wurde in Muolen besonders deutlich, nachdem auf die Ausschreibung der Stelle beim Einwohneramt vor allem Bewerbungen in Teilzeitpensen eingingen. Es war schnell klar, dass man sich auf die Anforderungen der Personen einlassen muss und Flexibilität und Mut gefragt sind, die Stelle aufzusplitten und durch zwei gleichgestellte Personen zu besetzen.

Die beiden Leiterinnen Isabella Galati und Claudia Schwarz sind nun knapp neun Monate im Amt. Beide arbeiten in einem 40-Prozent-Pensum und sind für spezifische Bereiche angestellt. Sie sind einen Tag pro Woche gemeinsam vor Ort, um Absprachen und unkomplizierte Übergaben zu ermöglichen. Zudem arbeiten sie jeweils einen weiteren Tag pro Woche versetzt, um eine breite Abdeckung der Öffnungszeiten zu gewährleisten. Bei seltenen, sehr dringenden Fällen ausserhalb dieser Zeit erfolgen informelle Absprachen. Dies ist der unkomplizierte Weg, und sie sehen den gelegentlichen Austausch ausserhalb der Arbeitszeit als ein Entgegenkommen gegenüber der Gemeinde, die ihnen dafür eine flexible Tätigkeit mit hoher Verantwortung ermöglicht.

Gemeinderat und Verwaltung stehen hinter Topsharing-Modell

Besonders wichtig für die erfolgreiche Einführung des Topsharing war die Unterstützung des Gemeinderats und der gesamten Verwaltung für dieses «Experiment». Doch es mussten auch Personen gefunden werden, die als Team für ein gemeinsames Ziel zusammenarbeiten wollen und können. Vonseiten der Gemeindeführung ist es wichtig, den Leiterinnen Flexibilität zuzugestehen und ihnen zu vertrauen, insbesondere wenn es um die konkrete Ausgestaltung des Prozesses und die Arbeitszuteilung geht. Zudem war die Einstellung von Fachpersonen mit Erfahrungen im Bereich Einwohnerdienste relevant, da eine Einarbeitung von zwei Personen viel Zeit beansprucht. Dies wurde deutlich, da bei dem ersten Versuch, Topsharing einzuführen, zwei inhaltlich unerfahrene Personen eingestellt worden sind. Dieser erste Versuch war aufgrund des dynamischen Umfelds und der Vielfalt der Aufgaben leider nicht erfolgreich.

Erfolgsmodell für offene und auch kleine Gemeinden

Die Verwaltung in Muolen sieht Erfolgsaussichten von Topsharing insbesondere bei Gemeindeverwaltungen, die über Offenheit verfügen und die Dringlichkeit ihrer Anpassungsfähigkeit an den Arbeitsmarkt erkennen. Zudem sollten insbesondere kleine Gemeinden den Mut für die Modernisierung ihrer Arbeitsmodelle finden, da die gute Abstimmung im Vergleich zu grösseren Organisationen häufig eine unbekannte Stärke ist.

Unter Berücksichtigung der genannten Punkte und der bisherigen Ergebnisse aus der Untersuchung kann davon ausgegangen werden, dass das Topsharing-Modell gut auf andere Gemeindeverwaltungen übertragbar ist – die konkrete Anschlussfähigkeit wird im Rahmen des Projekts in den nächsten Monaten geprüft und ausgearbeitet.

Forschungsprojekt der Fachhochschule Nordwestschweiz

In einem durch das Eidgenössische Büro für Gleichstellung (EBG) und die SGV-Stiftung geförderten Projekt implementieren die Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW und Gemeindeverwaltungen die fünf Arbeitsmodelle Topsharing, Führung und Kooperation auf Distanz, Teilzeit-Lösungen (im Kader), Numerische Flexibilisierung und Personalentwicklung on-the-job. Aus den gewonnenen Erkenntnissen wird ein übergreifendes Modell entwickelt, das eine öffentlich zugängliche Toolbox mit zentralen Informationsmaterialien und Rahmenbedingungen beinhaltet. 

Selina Weber, Karin Freiermuth, Christoph Vogel 
Fachhochschule Nordwestschweiz FHNW

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