Der Abfluss von Regen- und Oberflächenwasser muss frühzeitig und gesamtheitlich unter Berücksichtigung des Überlastfalls eingeplant werden.

Integrales Management von Regenwasser in Siedlungen

12.11.2023
11 l 2023

Wird verdichtet gebaut, so nimmt die Versiegelung des Bodens zu – dadurch steigt das Überschwemmungsrisiko. Damit der Siedlungsraum auch in Zukunft lebenswert bleibt, ist ein weitsichtiger Umgang mit Regenwasser gefragt.

Bereits heute leiden viele Siedlungen unter sommerlicher Hitze, Wasserknappheit in längeren Trockenphasen und Überschwemmungen bei lokalen Starkregen. Gemäss den Klimaszenarien für die Schweiz ist zukünftig sogar mit noch häufigeren und länger andauernden Perioden mit Hitze und Trockenheit zu rechnen. Die hohe Versiegelung der Böden trägt ihren Teil dazu bei: Asphalt, Beton, Stahl und Glas heizen Strassen und Gebäude im Sommer zusätzlich auf.

Regenwasser, das auf Dächern, Plätzen und Verkehrswegen anfällt, wird viel zu oft in Röhren unter dem Boden abgeleitet. Weil es nicht im Boden und in Pflanzen zwischengespeichert werden kann, fehlt es an heissen Tagen. Bei Starkregen im Überfluss anfallender Niederschlag kann nicht versickern, überlastet die Kanalisation und verschärft im Endeffekt das Überschwemmungsrisiko. Es braucht nachhaltige Lösungen für den temporären Rückhalt von Regenwasser.

Häufigere und heftigere Naturereignisse

Der Klimawandel wirkt sich unmittelbar auf die Naturgefahren aus: Wärmere Luft kann mehr Feuchtigkeit aufnehmen, die sich wiederum in häufigeren und noch intensiveren Starkregen entlädt und zudem das Potenzial für Stürme verschärft. Rund die Hälfte aller Überschwemmungsschäden ist nicht auf ausufernde Bäche, Flüsse und Seen, sondern auf Oberflächenabfluss zurückzuführen. Wasser, das bei starkem Regen nicht unmittelbar versickern kann, fliesst als Oberflächenabfluss auf dem Boden ab und gelangt über Wiesen und Strassen ins Siedlungsgebiet, wo es in tief liegende Gebäudeöffnungen eindringen und massive Schäden verursachen kann.

Damit die Verletzlichkeit von Gebäuden und die Risiken möglichst gering bleiben, sind planerische und bauliche Lösungen gefragt. Die Gefährdungskarte Oberflächenabfluss zeigt schweizweit mögliche Abflusswege und überschwemmte Bereiche im Fall eines Gewitters auf.

Schutz vor Starkregen und Oberflächenabfluss

Entscheidend für die Planung und Umsetzung von Schutzmassnahmen ist die Kenntnis der Abflusswege von Regenwasser. Mit dem Naturgefahren-Check der Informationsplattform www.schutz-vor-naturgefahren.ch kann mittels Eingabe des Standorts die lokale Gefährdung für alle Naturgefahren abgerufen werden. Neben der Gefährdungskarte Oberflächenabfluss greift die Plattform auf alle verfügbaren Gefährdungskarten zu und liefert ausserdem zur Situation passende Empfehlungen für den Gebäudeschutz.

Ein zuverlässiger Hochwasserschutz setzt auf den permanenten Schutz sämtlicher Gebäudeöffnungen im überschwemmungsgefährdeten Bereich, wobei man auch Lüftungsöffnungen oder Leitungsdurchführungen nicht vergessen darf. Zielführend sind beispielsweise die erhöhte Anordnung des Erdgeschosses und der Zugänge in Kombination mit einer Umgebungsgestaltung, die Oberflächenabfluss gezielt um die Gebäude herumleitet und optimalerweise begrünte Versickerungsflächen bietet. Die Planung über Parzellengrenzen hinaus ist deshalb ein zentraler Bestandteil des integralen Regenwassermanagements. Ein Blick auf das Konzept der Schwammstadt lohnt sich.

Die Schwammstadt

Das Konzept der Schwammstadt ist bestechend einfach und bringt die Themen Klimaanpassung, Naturgefahrenprävention, Biodiversität und Lebensqualität unter einen Hut: Auch urbane Räume sollen ähnlich einem Schwamm möglichst viel Wasser aufnehmen und zwischenspeichern können. Das Wasser dient der Anreicherung des Grundwassers und steht während Trockenperioden für die Pflanzen zur Verfügung. Naturnahe, wasserdurchlässige Oberflächen mit Bewuchs speichern zudem weniger Wärme als die meist dunklen, versiegelten Flächen und tragen über Verdunstung und Schattenwurf zu einer Abkühlung der Umgebungsluft bei. Der Effekt gleicht einer natürlichen Klimaanlage und ist deshalb ein Schlüssel der modernen Stadtplanung zur Bekämpfung von Hitzeinseln. Die gezielte Versickerung des Regenwassers reduziert gleichzeitig den Oberflächenabfluss und den Eintrag in die Kanalisation. Solche «blau-grünen» Infrastrukturen bieten Pflanzen, Nützlingen und Bestäubern neue Lebensräume, fördern dadurch die Biodiversität und erhöhen die Lebensqualität und Attraktivität der Wohn- und Arbeitsumgebung.

Ein natürlich gestalteter Platz im Siedlungsgebiet.

Begrüntes Flachdach bei der ZHAW in Wädenswil, dass bei Niederschlag der Versickerung von Regenwasser dient.

Sicker- und Retentionsmulde am Turbinenplatz in Zürich.

Den Umgang mit Regenwasser bewusst planen

Regenwasser kann auf begrünten Flachdächern, in Gärten und auf unversiegelten Plätzen versickern. Zudem lässt es sich fassen und zur Bewässerung oder als Betriebswasser nutzen. Damit das Konzept der Schwammstadt erfolgreich ist, muss Regenwasser als Grundelement bei jeder Planung berücksichtigt werden. Die Siedlungs- und Verkehrsentwicklung muss mit der generellen Entwässerungsplanung und dem Hochwasserschutz koordiniert werden. Dabei können verschiedenste, auch kleine Massnahmen zur Förderung von Versickerung, Wasserrückhalt und dem kontrolliertem Durchleiten von Oberflächenabfluss zwischen Gebäuden hindurch kombiniert werden. Insbesondere Letzteres will gut koordiniert sein – auch über Parzellengrenzen hinweg. Dass dabei stets auch der Überlastfall bei Starkregen bewusst mitgedacht wird, dürfte zur allgemeinen Sensibilisierung für Naturgefahren und auch zum Schutz vor Überschwemmungen oder gar zu deren Vermeidung beitragen.

Lukas Weibel
Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen (VKG)