
Integration: Das erfolgreiche Modell der St. Galler Gemeinden
Die 75 St. Galler Gemeinden bewältigen die Erstunterbringung und Integration von Flüchtlingen gemeinsam: Sie haben sich 2011 im Trägerverein Integrationsprojekte St. Gallen (TISG) zusammengeschlossen. Geschäftsführerin Claudia Nef erklärt im Interview, was es für eine erfolgreiche Integration im Arbeitsmarkt braucht und wie der TISG auf die Zunahme der Flüchtlingszahlen in den letzten Jahren reagiert hat.
Claudia Nef, weshalb haben sich die St. Galler Gemeinden im Trägerverein Integrationsprojekte St. Gallen (TISG) zusammengeschlossen?
Im Kanton St. Gallen ist die Gemeindeautonomie im Asylbereich sehr gross; die Gemeinden sind direkt zuständig für die Unterbringung und Integration der Flüchtlinge. Um diese Aufgabe besser bewältigen zu können, insbesondere auch die Erstunterbringung der Flüchtlinge mit Bleiberecht, haben sich die Gemeinden zusammengeschlossen. Der TISG bietet nicht nur Unterstützung, sondern auch Fachwissen.
Wie sieht die Zusammenarbeit zwischen dem TISG und den Gemeinden konkret aus?
Alle 75 St. Galler Gemeinden sind bei uns Mitglied. Der TISG ist zuständig für die Zuweisungen der Flüchtlinge aus den Zentren auf die Gemeinden. Wir bedienen die Gemeinden zudem mit Informationen in Bezug auf das Asylwesen allgemein, aber auch zu einzelnen Personen. Die Zusammenarbeit ist sehr eng und basiert auf gegenseitigem Vertrauen.
Die Zahl der Asylgesuche war in den letzten drei Jahren sehr hoch, mit insgesamt fast 200 000 Gesuchen für Asyl und den Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge. Wie ging der TISG damit um?
Der TISG hat sehr schlanke Strukturen und schnelle Entscheidungswege, weshalb wir sehr schnell reagieren konnten. Wir haben in den letzten drei Jahren unsere Kapazitäten in den Erstunterbringungszentren versechsfacht und rasch ein neues Zentrum für ukrainische Flüchtlinge eröffnen können.
Wie gelang es dem TISG, so schnell Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen?
Teils bieten uns Gemeinden Unterbringungsmöglichkeiten an, teils Private. Wenn Anfragen von Privaten kommen, informieren wir als Erstes die Gemeinde. Sie sind schliesslich unsere Mitglieder und müssen einverstanden sein. Eine sorgfältige Kommunikation mit der Gemeinde und der Bevölkerung ist sehr wichtig – das heisst nicht, dass es keinen Widerstand gibt, aber es erhöht die Erfolgschancen.
Dennoch: Der Leerwohnungsstand ist momentan sehr tief.
Das stimmt, und es ist tatsächlich schwierig, angemessene Wohnungen für die Flüchtlinge in den Gemeinden zu finden. Mit unseren Zentren für die Erstunterbringung haben wir wichtige Puffer, wenn nicht sofort eine Wohnung gefunden werden kann.
Konnten auch die Integrationsangebote so schnell hochgefahren werden?
Ja, das hat gut funktioniert. Wir setzen auf eine enge Zusammenarbeit mit privaten Partnern und eine marktnahe Struktur. Bei einer grösseren Nachfrage reagieren die Anbieter rasch, oder neue Anbieter springen ein.

Wie ist die Situation aktuell?
2024 ging die Zahl der Gesuche zurück, das hat etwas geholfen, die Lage zu entspannen. Wenn die Gesuche noch einmal stark zunehmen würden, würde es für uns aber schwierig. Man muss bedenken: Die Asylsuchenden durchlaufen zunächst die Strukturen des Bundes und der Kantone, aber am Ende sind sie in den Gemeinden und bleiben bei einem Bleibeentscheid auch langfristig da – nicht selten ihr ganzes Leben lang.

«Die Asylsuchenden durchlaufen zunächst die Strukturen des Bundes und der Kantone, aber am Ende bleiben sie in den Gemeinden.»
Der Bund möchte im Zuge der geplanten Sparmassnahmen unter anderem die Globalpauschale für die Integration von Flüchtlingen stark kürzen. Was würde das für den TISG bedeuten?
Für die St. Galler Gemeinden würden das finanzielle Einbussen von rund 42 Millionen Franken ab 2028 bedeuten. Die Sparmassnahmen würden das fragile Gleichgewicht der verschiedenen Staatsebenen im Asylbereich in Schieflage bringen. Der Vorschlag bedeutet eine Lastenverschiebung zu den Gemeinden.
Es gibt Forderungen, die Integration zu beschleunigen und so Kosten zu sparen. Was sagen Sie dazu?
Dieser Vorschlag ist nicht nachhaltig. Die Investition in die Bildung ist enorm wichtig. Rund zwei Drittel der Asylsuchenden sind unter 30 Jahre alt. Je prekärer ihre Jobs sind, desto schneller fallen sie aus dem Arbeitsmarkt und sind auf Sozialhilfe angewiesen: Wenn jemand als Erntehelfer in der Landwirtschaft arbeitet, wird er oder sie das kaum bis zur Pensionierung tun können. Mit guten Deutschkenntnissen und einer Berufsausbildung sind die Chancen viel höher, dass jemand länger im Arbeitsmarkt bleibt und nicht auf Sozialhilfe angewiesen ist. Nicht zuletzt profitiert davon auch die Gesellschaft als Ganzes.
Trägerverein Integrationsprojekte St. Gallen (TISG)
2011 startete der Trägerverein Integrationsprojekte St. Gallen (TISG) mit einem Ausbildungsrestaurant für Flüchtlinge. Heute hat der TISG rund 240 Mitarbeitende und betreibt neben den beiden Ausbildungsrestaurants auch fünf Unterkünfte für die Erstunterbringung von Flüchtlingen, darunter mehrere für unbegleitete Minderjährige, und unterhält diverse Angebote für die Arbeitsmarktintegration. Er ist zuständig für die Verteilung der zugewiesenen Flüchtlinge auf die St. Galler Gemeinden, berät die Gemeinden und hilft ihnen, Integrationsangebote wie Sprachkurse zu organisieren. Claudia Nef ist seit 2020 Geschäftsführerin des TISG.
