Kehrichttrennung ist gut, Vermeidung noch besser
Im Tessin beteiligen sich bisher vier Gemeinden am Projekt «Comune Zero rifiuti» (Zero Waste), das 2021 vom Konsumentenverband der italienischen Schweiz (ACSI) lanciert wurde. Ziel ist es, die Masse an Abfall zu verringern.
Das Sammeln und Entsorgen von Haushaltsabfällen ist eine wichtige Aufgabe für alle Gemeinden. In den letzten Jahren wurden grosse Anstrengungen unternommen, um die Kehrichtbewirtschaftung effizienter und umweltverträglicher zu gestalten. Anstatt alle Abfälle in einen Container oder einen Sack zu werfen und später zu entsorgen, hat sich die getrennte Abfallsammlung mit anschliessendem Recycling durchgesetzt. Für Materialien wie Glas, Papier, Metall, Aluminium und Kunststoff (insbesondere PET-Flaschen) gibt es fast überall Sammelcontainer. Nur was nach dieser Trennung übrig bleibt, kommt in die Abfallsäcke, die in allen Tessiner Gemeinden gesetzlich vorgeschrieben sind. Es gilt das Verursacherprinzip: Wer mehr Abfall produziert, muss mehr bezahlen. Die Gemeinden versuchen, die Bürgerinnen und Bürger auch mit wirtschaftlichen Argumenten zur Abfalltrennung zu motivieren. In Locarno wurde zum Beispiel der Slogan «Sauberes Locarno: Je mehr ich trenne, desto weniger zahle ich» lanciert.
Auf Wegwerfprodukte verzichten
Leider ist der Abfallberg aber immer noch sehr hoch. Obwohl die Schweizerinnen und Schweizer Weltmeister in der getrennten Müllsammlung sind, stehen sie mit einer Produktion von rund 700 Kilogramm Abfall pro Jahr und Kopf weltweit immer noch an der Spitze der Abfallproduzenten. Eine Trendwende wäre wünschenswert. Deshalb hat der Konsumentenverband der italienischen Schweiz (ACSI) ein Projekt lanciert, das über die getrennte Sammlung von Abfällen hinausgeht und dazu beitragen soll, die Abfallproduktion zu vermeiden und damit das Problem an der Wurzel zu packen. Je weniger Abfall wir erzeugen, desto weniger Abfall müssen wir trennen und entsorgen. Die Stadt Mendrisio war zunächst als Pilotgemeinde beteiligt.
Im April 2021 formulierte die damalige ACSI-Generalsekretärin Laura Regazzoni Meli im Leitartikel des ACSI-Magazins «La Borsa della spesa» das Projekt: «Die ACSI schlägt nun vor, einen weiteren Schritt zu machen und die Prinzipien der Zero-Waste-Bewegung ins Tessin zu bringen.» Was bedeutet Zero Waste? Das Projekt sieht verschiedene Aktivitäten vor: vom Coaching von Familien oder Einpersonenhaushalten, die sich freiwillig zur Abfallvermeidung verpflichten, über Treffen mit der Bevölkerung; von der Sensibilisierung von Ladenbesitzern, um den Verkauf von nicht verpackten Lebensmitteln zu fördern, bis hin zum Dialog mit Gastronomen, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren, und zum Dialog mit Organisatoren, um auch bei Veranstaltungen weniger Abfälle zu generieren. Diese Strategie wird auch von Zero Waste Switzerland (zerowasteswitzerland.ch) propagiert.
Die neue Devise lautet: Nein sagen und verzichten. «Sagen wir Nein zu Wegwerfprodukten – etwa dem Strohhalm an der Bar, Werbeprospekten, die wir nicht lesen, oder Plastiksäckchen für Waren – und verzichten wir auf das, was wir nicht brauchen – das x-te Paar Schuhe oder das neueste Gadget, das am Ende in einer Schublade vergessen wird», so die ACSI.
Umsetzung ist nicht so einfach
Alles ist leicht gesagt, aber die Anwendung dieser Grundsätze ist nicht so einfach. Dies zeigte die Konsumentensendung «Patti chiari» des Fernsehsenders RSI, die ihre Folge vom 11. Februar 2022 der Initiative Zero Waste widmete und dabei auch zwei Familien aus Mendrisio, die am Coaching teilnahmen, bei ihren Bemühungen um Abfallvermeidung begleitete. Insgesamt hat ein Dutzend Familien in Mendrisio an dem Coachingprojekt teilgenommen.
Für Gabriele Martinenghi vom Bauamt Mendrisio (UTC), Abteilung Umwelt, sind die bisherigen Erfahrungen gleichwohl positiv. In Zusammenarbeit mit der ACSI wurden verschiedene Infoveranstaltungen und mehrere Reparaturcafés organisiert, in denen die Bürger beschädigte Gegenstände zur Reparatur bringen können. Eine grössere Herausforderung stellt laut Martinenghi die Arbeit mit Familien im Bereich des Coachings dar, da ein Engagement über einen längeren Zeitraum nötig ist, was etwa regelmässige Treffen an Samstagen erfordert.
Das Engagement der Stadt Mendrisio ist finanziell nicht aufwendig und beläuft sich auf einige Tausend Franken pro Jahr, erfordert aber Zeit und Einsatz seitens des zuständigen Amtes. So werden beispielsweise Händler, Gastronomen, Take-away-Betriebe oder Veranstaltungsorganisatoren kontaktiert, um Abfälle zu reduzieren. Einige Fortschritte sind bereits sichtbar. Während des berühmten Traubenfestes wurden zum Beispiel Einwegbecher vermieden und durch wiederverwendbare Trinkgefässe ersetzt, für die ein Pfand von zwei Franken erhoben wurde.
Drei Gemeinden schliessen sich an
Mendrisio hat es vorgemacht, nun haben sich auch die Gemeinden Balerna, Chiasso und Lumino mit Informationsabenden, zum Teil auch mit Familiencoachings dem Projekt «Zero Waste» angeschlossen. Alberto Benzoni, Gemeinderat von Balerna, sagt: «Als Vorsteher des Umweltdepartements war ich schon immer sensibel für das Thema Abfalltrennung und -entsorgung. Ich habe in unserer Gemeinde die Trennung und das Recycling von Kunststoffen sowie die Sammlung und das Recycling von organischen Küchenabfällen eingeführt. Darüber hinaus war es mein Ziel, Feste und Veranstaltungen nachhaltiger zu gestalten.» Mit seiner Familie nimmt er selbst am Coachingprogramm teil: «Ich tue dies aus Neugierde, um das ACSI-Programm aus erster Hand kennenzulernen.»
Die Gemeinde Lumino hat sich laut ihrem Gemeindeschreiber Floriano Righetti dem Projekt angeschlossen, «weil die Kreislaufwirtschaft und die Abfallentsorgung ein zentrales Thema in der heutigen Gesellschaft sind». Da das Projekt gerade erst begonnen habe, werde es aber erst am Ende des Zyklus möglich sein, eine umfassende Gesamtbilanz zu ziehen.
«Es ist nicht einfach, in einer Gesellschaft und Geschäftswelt, die so viele verpackte Produkte produziert, gegen den Strom zu schwimmen.»
Bei der ACSI ist Viola Ferdani als Koordinatorin für das Programm «Comune Zero rifiuti» zuständig. Nach den ersten Jahren zieht sie eine positive Bilanz, betont aber: «Es ist nicht einfach, in einer Gesellschaft und Geschäftswelt, die so viele verpackte Produkte produziert, gegen den Strom zu schwimmen.» Sie ist aber sehr froh, dass zumindest drei Migros-Filialen im Tessin nun unverpackte Produkte anbieten. Viola Ferdani räumt auch ein, dass die Familien, die am Coaching teilnehmen, oft schon für das Thema der Abfallvermeidung sensibilisiert sind: «Aber auch die, die schon sensibilisiert sind, können sich noch verbessern.»