Vor 350 Jahren sorgfältig in den Hang gesetzt, erzählt die Scheune Saalegg ob Schönthal (BL) vom hohen handwerklichen Können des 17. Jahrhunderts.

«Mich reut jede Scheune, die wegkommt»

06.08.2023
7-8 l 2023

Feldscheunen im Baselbiet erzählen über die Bautechnik des 17. bis 19. Jahrhunderts, machen die Kulturlandschaft lesbar und fördern die Artenvielfalt. Der Verein Feldscheunen engagiert sich für den Erhalt dieser Gebäude. Eine Exkursion über Stock und Stein.

Markus Zentner sitzt am Steuer seines firmeneigenen Minigeländewagens, der Besucher auf dem Beifahrersitz. Wir steuern Langenbruck an, die südlichste Ortschaft im Waldenburgertal, eines der von Süden nach Norden verlaufenden Täler im Baselbiet. Das Ziel unseres Ausflugs an diesem sommerlichen Nachmittag im Juni sind Feldscheunen. Sie stehen einzeln im Gelände, umgeben nur von Wiesen und mitunter auch Weiden. Viele stammen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, wenige Exemplare gar aus dem 17. Jahrhundert. Oben in der Tenne wurde Heu gelagert, im Erdgeschoss gibt es Ställe. Manche dienten als Futterscheunen, in denen Lasttiere gefüttert wurden, andere nutzte man als klassische «Heuschürli».

Was ist denn so besonders an diesen in die Jahre gekommenen Zweckbauten? Markus Zentner, Präsident des 2009 gegründeten Vereins Feldscheunen, kennt die Antwort. Unseren ersten Halt legen wir bei der Saalegg ein, einer Stallscheune oberhalb des früheren Klosters Schönthal. Wir sind im hügeligen Faltenjura, Wiesen schmiegen sich zwischen Waldstücke, immer wieder ragen Felsabbrüche hervor, «Flue» nennt man sie hier. Zentner wechselt ein paar Worte mit dem Landwirt, der Heuballen auf den Anhänger des Traktors lädt und in die Saalegg transportiert. Es bleibt nicht die letzte Plauderei an diesem Nachmittag. Zentner kennt nicht nur jeden Stein im Oberbaselbiet, sondern auch manche der Bauern, die das Land bewirtschaften, auf denen die Feldscheunen stehen.

Wenn es darum geht, eine solche Scheune vor dem Zerfall oder dem Abbruch zu bewahren, berät der Verein Feldscheunen Eigentümer, fertigt Gutachten an, stellt Finanzierungsgesuche, reicht Baugesuche ein, schreibt Aufträge aus und organisiert die Arbeiten auf der Baustelle. Hans Weber, Gemeinderat von Langenbruck, findet vor allem die Beratung wertvoll: «Mit seiner bautechnischen Expertise kann der Verein gut abschätzen, wie aufwendig eine Sanierung wird.» Und fügt an: «Ausserdem weiss er, wo man Unterstützungsbeiträge beantragen kann.» Der Gemeinderat ist zuständig für die Ortsplanung sowie den Bereich Natur und Landschaft. Mit ihm sprach der Autor vor seinem Besuch im Baselbiet.

Ein Zeuge der Handwerkskunst des 17. Jahrhunderts

Der Gebäudesockel der Saalegg besteht aus teilweise verputzten ockerfarbenen Bruchsteinen, darauf ruht ein sogenannter Ständerbau, bei dem Holzpfosten die Last abfangen. Sparren tragen das mächtige Dach. Nur die gegen Südwesten ausgerichtete Giebelwand ist aus dem örtlichen Kalkstein gemauert, die anderen Wände sind aus Holz. Der Stein schützt besser vor der Witterung.

Es fällt auf, dass das Dach bloss auf der Längsseite – der Traufseite – vorspringt. Markus Zentner, der seit der Lehre als Zimmermann eine eigene Firma führt, nennt konstruktive Gründe: «Bevor die Giebelwand gemauert wurde, hat man die Holzkonstruktion mit dem Dachstuhl aufgerichtet. Die Last des Dachs wird via Sparren auf die Traufwände abgeleitet. Auch das Vordach liegt auf der Traufwand auf. Bei der Giebelwand ist das nicht möglich, da sie keine statische Funktion hat und bloss die Fassade schliesst.»

Erstaunlich dabei: Die gemauerte Giebelwand neigt sich gegen innen. Die Sanierung der Saalegg habe sie davor bewahrt, ganz umzustürzen. Vor einem Jahr hat die Besitzerin der Scheune, die Erbengemeinschaft vom Kleinschönthal, den Auftrag dazu erteilt. Zentners Firma übernahm dabei die Arbeiten an der Holzkonstruktion. Unter anderem hat sein Team die Konstruktion des Dachs, die Ständerwände und die Balkenlagen ertüchtigt sowie schadhafte Teile ersetzt. Auch haben lokale Zimmerleute die Biberschwanzziegel vom Dach geholt, teilweise ersetzt und wieder auf die neue Dachlattung aufgelegt.

«Jacob 1651 Bauman» steht an einem der Holzbalken der Saalegg. «Das zeigt, wie stolz er auf sein Werk war», meint Markus Zentner. Nebst Feldscheunen habe der Zimmermann in der Region auch Wohnhäuser und Kirchen gebaut. «Feldscheunen zeugen vom hoch entwickelten Handwerk des 17. bis 19. Jahrhunderts.» Entwurf, Proportionierung, Konstruktion und Fertigungstechnik zeigen den Meister seines Fachs, ist Zentner überzeugt.

Gemeinderat Hans Weber erwähnt zwei weitere Aspekte, weshalb Feldscheunen besondere Gebäude sind: «Sie spiegeln die frühere bäuerliche Bewirtschaftung der Hügellandschaft fernab der Dörfer und Höfe.» Zudem seien sie als traditionelles Landschaftselement kennzeichnend für das Oberbaselbiet. Dieses gehört zum Gebiet Belchen-Passwang, das im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung aufgeführt ist. Auch Zentner betont den landschaftlichen Wert: «Feldscheunen dienen als Orientierungspunkte in der Kulturlandschaft und machen sie lesbar.»

Ein Singvogel im Dachstuhl

Wir gehen durch die neu gezimmerte Einfahrt in die Tenne der Saalegg hinein, in der das zu kompakten Rollen gepresste Heu lagert. Es flattert im Gebälk, wir haben einen Vogel aufgeschreckt, der im Sparrendach sein Nest hütet. «Ein Garten- oder Hausrotschwänzchen», vermutet Zentner. Die Einfahrt ist stets geöffnet, damit die Vögel ungehindert herein- und herausfliegen können. Im porösen Putz und in den Mauern fänden auch Mauerbienen Unterschlupf. «Feldscheunen dienen der Artenvielfalt», meint Zentner. Folgerichtig stellen auch Naturschutzorganisationen Mittel für Sanierungsprojekte zur Verfügung.

Dabei erweist sich der Ansatz, traditionelle Materialien bei Sanierungen einzusetzen, für die Natur als Glücksfall. Einst verwendeten die Baufachleute ausschliesslich Materialien, die sie vor Ort vorfanden, etwa Kalkstein, Nadelhölzer, Stampflehm und gelben Jurasand. Den nach alter Rezeptur hergestellten Kalkputz können Insekten besiedeln, den historisch jüngeren Zementputz hingegen nicht.

An diesem Nachmittag schauen wir uns noch drei weitere Feldscheunen an. Mehrmals setzt Zentner den Vierradantrieb auf den bekiesten und steilen Feldwegen ein. Einmal gehts nur noch zu Fuss weiter, da Baumstämme kreuz und quer liegen, Forstarbeiten sind im Gang. «Auch wegen solch unzugänglicher Lagen reisst sich bei Sanierungen niemand um Aufträge», sagt Zentner. Ohne das Engagement seines Vereins hätten manche der jahrhundertealten Bauwerke kaum überlebt. Jede einzelne Feldscheune sei anders und erzähle eine eigene Geschichte, sagt Markus Zentner. «Darum reut mich jede Scheune, die wegkommt.»

Lukas Kistler
Freier Mitarbeiter