Mit Partizipation zu einem neuen Kraftwerk
Das Projekt für das Pumpspeicherkraftwerk Lagobianco im Puschlav zeigt: Der Einbezug von Gemeinden und Verbänden in die Planung ist zwar zeitintensiv – zahlt sich aber langfristig aus.
Die Chance, dass der Strom aus der Schweizer Steckdose mit Wasserkraft erzeugt wurde, ist gross. Rund 57 Prozent der inländischen Stromproduktion werden in Wasserkraftwerken produziert, dies gemäss Angaben des Bundesamtes für Energie. 682 Kraftwerke produzieren pro Jahr durchschnittlich rund 37’172 Gigawattstunden Strom. Viele davon stehen in den Bergkantonen – und viele gibt es schon seit mehr als hundert Jahren. Der Wasserkraftwerkpark der Schweiz ist grösstenteils gebaut.
Dennoch gibt es neue Projekte oder Bestrebungen für den Ausbau bestehender Werke. Ein grösserer Bau wurde in den vergangenen Jahren im südöstlichsten Zipfel der Schweiz geplant, im Puschlav. Das Pumpspeicherkraftwerk Lagobianco soll dereinst den Lago Bianco auf der Berninapasshöhe mit dem Lago di Poschiavo im Tal verbinden. Durch einen 18 Kilometer langen Druckstollen soll in Zeiten des Stromüberschusses Wasser vom Tal auf die Passhöhe gepumpt werden, heisst es auf der Homepage der Betreibergesellschaft Repower. Wenn der Strom benötigt wird, fliesst das Wasser von oben nach unten und generiert Strom. Die Leistung wird mit rund 1000 Megawatt Strom pro Jahr angegeben; die Investitionskosten belaufen sich auf ungefähr 2,5 Milliarden Franken, die Bauzeit wird auf sechs bis sieben Jahre geschätzt.
Gemeinden haben Gewässerhoheit
Die Betreibergesellschaft Repower hat für die Planung des Projekts auf Partizipation gesetzt. Bereits bei der Machbarkeitsstudie waren Gemeinden und Umweltverbände miteinbezogen worden. Gian Paolo Lardi, Leiter Assetmanagement Produktion bei Repower, erklärt: «Wir hatten zuvor bei einem Ausbauprojekt ohne Partizipationsverfahren schlechte Erfahrungen gemacht. Der Fall landete vor Bundesgericht.»
Repower habe sich daraufhin entschieden, mit allen Beteiligten an einen Tisch zu sitzen: Gemeinden, Kanton und Umweltorganisationen. Gerade die Gemeinden spielen in Graubünden eine wichtige Rolle, denn sie verfügen über die Gewässerhoheit und müssen zunächst eine Konzession erteilen, wenn Kraftwerkbetreiber das Wasser nutzen wollen. Der Kanton entscheidet danach definitiv über ein Konzessionsgesuch.
Regelmässiger Austausch
Eine erste Machbarkeitsstudie wurde von allen Involvierten unterzeichnet. Danach entwickelte Repower das Projekt. «Wir hatten den Lead, standen aber während des ganzen Prozesses im Austausch mit allen Involvierten.» Gemeinde- und Verbandsvertreter seien über den Stand der Dinge informiert worden und hätten Inputs liefern können. Involviert waren neben den Konzessionsgemeinden Pontresina, Poschiavo und Brusio auch die Umweltorganisationen WWF, Pro Natura, Pro Bernina Palü und die Greina-Stiftung.
Mittendrin war Alessandro Della Vedova. Er war während der Konzessionsverhandlungen 2009 und 2010 Präsident des Regionalverbandes Valposchiavo, von 2011 bis 2018 Gemeindepräsident von Poschiavo und ist heute Grossrat der Mitte-Partei. «Es war sehr komplex und sehr zeitintensiv, aber insgesamt eine sehr gute Erfahrung», erinnert er sich und fügt an: «Wir hatten enorm viele Sitzungen.» Die Gemeinden waren wichtige Partner und einerseits auf politischer Ebene mit Exekutivmitgliedern, andererseits auf operativer Ebene mit Verwaltungsmitarbeitenden vertreten; insbesondere aus dem Bau- und Grundbuchamt.
Bevölkerung miteinbezogen
An Informationsveranstaltungen wurde die Bevölkerung der drei betroffenen Gemeinden orientiert. Denn sie musste 2010 und 2011 über die Konzessionsgenehmigung abstimmen. «Das war sehr wichtig», sagt Della Vedova. Gian Paolo Lardi von Repower erinnert sich: «Ich habe die Bevölkerung als sehr interessiert erlebt; es kamen jeweils viele Leute an die Veranstaltungen.» Die Mehrheit der Bevölkerung war dafür; rund zwei Drittel stimmten bei der Abstimmung für das Projekt.
«Das Projekt versprach Arbeitsplätze, das ist für ein abgelegenes Seitental wie das Puschlav sehr wichtig», begründet Alessandro Della Vedova die zustimmende Haltung der Bevölkerung. «Es ist eine Chance, junge, gut ausgebildete Menschen im Tal zu behalten.» Zudem seien die Wasserzinsen eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle. Und die Gemeinden erhielten Strom zu günstigen Konditionen zugesprochen.
«Das Projekt versprach Arbeitsplätze, das ist für ein abgelegenes Seitental wie das Puschlav sehr wichtig.»
«Es gab aber auch Gegner, und es war gut, dass sich diese gemeldet haben, denn so konnten wir Verbesserungen erzielen», sagt Della Vedova. Einige befürchteten Schäden für die Umwelt, andere wiederum monierten, dass Repower zu mächtig im Tal wird. Beides Einwände, die er verstehen könne, so Della Vedova. «Man muss aber auch sehen: Wir müssen hier im Tal leben und wohnen können. Für die Bevölkerung birgt das Projekt viele Vorteile.»
2014 genehmigte der Kanton das Konzessionsgesuch. Im März 2015 reichte Repower das Projektgenehmigungsgesuch ein, und im Oktober 2016 erteilte der Kanton Graubünden die Projektgenehmigung.
Langwierig, aber lohnenswert
Gian Paolo Lardi von Repower zieht heute eine positive Bilanz. Ein partizipativer Prozess sei zwar kompliziert, langwierig und teuer; es brauche viele Sitzungen. «Man investiert am Anfang viel, aber am Schluss ist dieses Vorgehen möglicherweise schneller, weil man viel weniger Einsprachen riskiert», sagt er. Sowieso sei es wichtig, als Betreibergesellschaft den Austausch mit Gemeinden und Kanton zu pflegen. «Das Wasser gehört den Gemeinden, wir sind deshalb auf eine gute Zusammenarbeit angewiesen.» Und auch weil Repower zahlreiche Mitarbeitende in der Region hat, welche die Kraftwerke betreiben.
Das Pumpspeicherkraftwerk Lagobianco ist allerdings noch nicht gebaut. Die unsichere Lage und die tiefen Strompreise liessen eine solch grosse Investition aktuell nicht zu, begründet Repower. Für die Bevölkerung eine Enttäuschung, sagt Alessandro Della Vedova. Er hofft, dass das Projekt in den nächsten Jahren dennoch realisiert werden kann.