Die Umgebungsgestaltung hat beim Umgang mit Regenwasser grosses Potenzial – naturnahe, parzellenübergreifende Abflusskorridore sind das grosse Ziel.

Nachhaltig und klimaangepasst bauen

05.04.2023
4 l 2023

Nachhaltigkeit beim Bauen erfordert Gesamtlösungen, die für Mensch und Umwelt eine sichere und lebenswerte Zukunft bringen. Was hat dies mit Klimaanpassung und dem Schutz vor Naturgefahren zu tun?

Die Anforderungen an nachhaltige Gebäude sind hoch, denn es gilt, sehr viele Themen unter einen Hut zu bringen und zukünftige Entwicklungen und Anforderungen zu antizipieren. Wer nach den Grundsätzen der Nachhaltigkeit bauen will, muss folglich auch Naturgefahren möglichst früh in der Planung berücksichtigen, wenn der Handlungsspielraum am grössten ist.

Im Alpenland Schweiz mag man bei Naturgefahren zuerst an Steinschlag oder Lawinen denken. Doch drei Viertel aller Gebäudeschäden gehen auf Hagel, Sturm und Starkregen zurück. Diese Gefahren können auch im Mittelland jederzeit auftreten, mit fortschreitendem Klimawandel noch häufiger und intensiver als heute. Umso mehr müssen bei der Planung von Neu- und Umbauten Lösungen gefunden werden, um Gebäude und Infrastruktur bestmöglich auch den in Zukunft zu erwartenden Einwirkungen anzupassen.

Viele Gebäude sind potenziell gefährdet

Gemäss den Klimaszenarien für die Schweiz CH2018 ist von einer deutlichen Zunahme der Häufigkeit und Intensität der Starkregenereignisse auszugehen – die zunehmende Versiegelung des Bodens und Verdichtung der Siedlungen verstärkt die Problematik zusätzlich. Nicht unmittelbar versickerndes Regenwasser fliesst als sogenannter Oberflächenabfluss auf dem Boden ab. Wenige Zentimeter Wasser an einer kritischen Stelle genügen, um ein Untergeschoss zu fluten.

Etwa jeder zweite Überschwemmungsschaden an Gebäuden ist auf Oberflächenabfluss zurückzuführen und nicht auf ausufernde Bäche, Flüsse und Seen. Deshalb lohnt sich ergänzend zu den kantonalen Gefahrenkarten ein Blick auf die schweizweit verfügbare «Gefährdungskarte Oberflächenabfluss». Sie zeigt die bevorzugten Fliesswege im Fall eines lokalen Starkregens auf. Ausserdem wird ersichtlich, dass zwei von drei Gebäuden in der Schweiz potenziell davon betroffen sind. Nur wer die Gefahren und deren Konsequenzen kennt, kann sich gut dagegen schützen.

Konzeptionelle und bauliche Schutzmassnahmen

Es gibt wirksame konzeptionelle und konstruktive Lösungen für naturgefahrensichere Gebäude. Werden Naturgefahren bereits früh im Projekt berücksichtigt, lassen sich Neubauten meist ohne Mehrkosten schützen. Werden Schutzmassnahmen allerdings zu spät eingeplant, können erhebliche Mehrkosten entstehen; denn ein ungünstiger Entwurf lässt sich selbst mit hohem Zusatzaufwand nicht mehr retten. Dies gilt besonders für die Erdbebensicherheit und den Hochwasserschutz.

Bauliche Schutzmassnahmen sind oft einfach umsetzbar. Gut in den architektonischen Kontext eingebettete Hochwasserschutzmassnahmen, etwa in Form höhergelegter Öffnungen und Zugänge, sind kaum als solche erkennbar und schützen zuverlässig. Können Tiefgarageneinfahrten nicht permanent mit baulichen Vorkehrungen geschützt werden, eignen sich technische Massnahmen, die ohne menschliches Zutun funktionieren, zum Beispiel automatische Klappschotts. Ein Klappschott besteht im Wesentlichen aus einem erdverlegten Tank und einer mechanischen Klappe. Wenn Wasser in den Tank einläuft, wird die Klappe direkt von selbst geschlossen. Denn im Ernstfall reicht meist die Zeit nicht, um Dammbalken und Sandsäcke einzusetzen. Beim Hochwasserschutz wird durch die Norm SIA 261/1 eine permanente Lösung sogar vorgeschrieben.

Auch technische Lösungen tragen zur Prävention bei

Aus Gewittern entstehen häufig lokale Starkregen, die zudem starke Windböen und oft auch Hagel mit sich bringen. Ein einzelner Hagelzug kann binnen Minuten grossflächig Schäden an Dächern und Fassaden verursachen, wobei leichte und spröde Materialien besonders anfällig sind. Gefahren wie Hagel, denen man räumlich nicht ausweichen kann, entgegnet man am besten mit einer widerstandsfähigeren Gebäudehülle. Wirksamen Schutz bieten beispielsweise hagelgeprüfte Bauprodukte gemäss Hagelregister.

Die konstruktionsbedingt besonders verletzlichen Storen haben den Vorteil, dass sie im Ereignisfall aus dem Gefahrenbereich gebracht werden können. «Storen hochziehen!», lautet die Präventionsbotschaft. Das geht heute auch vollautomatisch mit IoT (Internet of Things), nämlich dem Warnsystem «Hagelschutz – einfach automatisch» der Vereinigung Kantonaler Gebäudeversicherungen. Damit ruft die Gebäudesteuerung alle zwei Minuten die neuste Hagelprognose ab und fährt bei akuter Hagelgefahr sämtliche Storen temporär hoch – das Schadenpotenzial reduziert sich somit auf null.

Ein ähnliches System zum Schutz vor Wind ist in Entwicklung, wobei Windmessungen aus der Umgebung helfen sollen, Böen früh zu erkennen und die Storen rechtzeitig hochzuziehen. Solche Massnahmen können die Lebensdauer von Bauteilen verlängern und somit Ressourcenverschleiss, Umtriebe und Kosten reduzieren. Naturgefahren frühzeitig in die Planung miteinzubeziehen, ist ein zentrales Element der Nachhaltigkeit am Bau.

Mit dem SNBS Hochbau zum Risikodialog

Ein nachhaltiger Umgang mit Naturgefahren setzt voraus, dass Risiken systematisch analysiert und bewertet werden. Letztlich geht es um die Frage, wie viel Schutz ein bestimmtes Objekt braucht. Alle involvierten Akteure müssen sich die Fragen stellen, was passieren darf und was nicht. So kann es sich beispielsweise lohnen, die Schutzziele für besonders intensiv genutzte Gebäude noch höher anzusetzen, um einen Betriebsunterbruch zu verhindern. Ein bewusster Dialog auf dem Weg zum akzeptierten Risiko und klimaangepassten Gebäude ist das Ziel. Bauherrschaften, Architekten und Fachplaner werden dabei von diversen Normen, Wegleitungen und Planungshilfen unterstützt.

In Bezug auf den Schutz vor Naturgefahren ist der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz (SNBS) Hochbau vorbildlich: Sich auf die Normen SIA 261 und SIA 261/1 abstützend, berücksichtigt der SNBS Hochbau 2.1 alle Naturgefahren gleichermassen umfassend wie pragmatisch. Ein interaktives Bewertungstool auf www.schutz-vor-naturgefahren.ch/snbs führt durch die relevanten Fragen und macht Vorschläge für Schutzmassnahmen.

Benno Staub
Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF)
Bereichsleiter Naturgefahren-Prävention