Sarina Laustela, Leiterin Abfallbewirtschaftung und Umwelt der Stadt Uster, findet: «Wenn weniger Produkte hergestellt werden müssen, werden viel effektiver Ressourcen und Energie eingespart.»

Netto-Null kann nur mit Suffizienz erreicht werden

07.02.2023
1-2 l 2023

Immer mehr Gemeinden denken um und schaffen gute Rahmenbedingungen für eine suffiziente Lebensweise. Obwohl die meisten Massnahmen bekannt sind, erweist sich die Umsetzung als schwierig. Hier bietet Energiestadt Unterstützung.

Es wird immer offensichtlicher: Zur Erreichung der ambitionierten Energie- und Klimaziele, insbesondere Netto-Null bis spätestens 2050, reichen Strategien zur Steigerung der Effizienz, etwa Wärmedämmung, und Konsistenz, wie die Umstellung auf erneuerbare Energien, nicht aus. Es braucht auch die Suffizienz als komplementäre Strategie, damit gesellschaftliche Bedürfnisse ressourcenschonend und sozialverträglich erfüllt werden können und der CO2-Ausstoss in der Schweiz wirksam und schnell gesenkt werden kann. Dabei haben Suffizienzmassnahmen nach wie vor einen schweren Stand. Sie stossen auf Widerstand. Aber zu Unrecht. Denn Suffizienz meint nicht per se Verzicht. Suffizienzstrategien fragen nach dem rechten Mass des Konsums und danach, wie Bedürfnisse zufriedenstellend und zugleich ressourcen- und klimaschonend befriedigt werden können. Dabei zeigen sich oft gute Lösungen, wenn die Bereitschaft, das eigene Verhalten anzupassen, vorhanden ist.

Zahlreiche Gemeinden nehmen sich des Themas an und schaffen Rahmenbedingungen, die eine suffiziente Lebensweise in der Gemeinde ermöglichen und fördern. So wird beispielsweise die Mobilität vermehrt auf öV und Langsamverkehr ausgerichtet, in der Raumplanung wird verdichtet, und innovative Wohnformen senken den Flächen- und Ressourcenverbrauch. Auch der Bund fordert mit der laufenden Stromsparkampagne und der Gründung der Energiespar-Alliance einen suffizienteren Umgang mit Energie zum Wohle der Energiesicherheit und des Klimaschutzes. Zu den Mitgliedern dieser Allianz gehören auch die Energiestädte Wädenswil (ZH) und Worb (BE). Gemeinsam mit den Energiestädten Uster (ZH) und Kloten (ZH) haben sie im Rahmen eines Projekts des Trägervereins Energiestadt eigene Initiativen zur Förderung von Suffizienz umgesetzt. 

Worb: Klimaverträglicher Konsum

Worb hat in den letzten Jahren, auch dank Initiativen von engagierten Bürgerinnen und Bürgern, zu einem suffizienten Leben ermuntert. Einiges davon ist während der Pandemie eingeschlafen. Über das Projekt mit dem Trägerverein Energiestadt wurden diese Massnahmen wiederbelebt und mit neuen ergänzt. So wird neu die Curlinghalle in der Zwischensaison für andere Nutzungen aus der Bevölkerung geöffnet. Während des Generationenfests wurde überschüssiges Gemüse zu Chips und Bouillon verarbeitet und so die Besuchenden zum Thema Food Waste sensibilisiert. Über ein neues Patenschaftsprogramm werden brachliegende Obsthaine wieder bewirtschaftet und neue Hochstammbäume gepflanzt.

Mit einer neuen Website wird die Bevölkerung zum Thema Suffizienz und über Möglichkeiten informiert, wie das eigene Leben und der Konsum suffizienter gestaltet werden können. Gemeinderat Adrian Hauser sagt dazu: «Der Gemeinderat möchte das ressourcenschonende Leben in Worb fördern, weil wir damit einen echten Beitrag zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit leisten können. Die bestehenden Angebote zum Teilen, Reparieren und Wiederverwenden sollen gefördert und bekannt gemacht werden.»

«Der Gemeinderat möchte das ressourcenschonende Leben in Worb fördern, weil wir damit einen echten Beitrag zum Klimaschutz und zur Nachhaltigkeit leisten können.»

Adrian Hauser, Gemeinderat Worb (BE)

Uster: Mehrweggeschirr im Einsatz 

Mit dem Ziel, die Ressourceneffizienz zu erhöhen und Abfall zu vermeiden, fördert die Stadt Uster die Verwendung und den Einsatz von Mehrweggeschirr. Dafür arbeitet die Stadt mit Recircle, dem aktuell grössten Schweizer Netzwerk für Mehrweggeschirr, zusammen. Ziel ist es, dieses System bei allen Take-away-Betrieben in der Stadt bekannt zu machen und dessen Vorteile aufzuzeigen, sodass ein Grossteil der Betriebe dieses Geschirr anbietet. Auf diese Weise sollen weitere Betriebe für dieses Mehrweggeschirr gewonnen werden. Die Stadt Uster ist auf alle Betriebe zugegangen, hat über das Mehrweggeschirr informiert und unterstützt die Einführung von Recircle auch finanziell. Ein Erklärvideo beleuchtet die Vorteile und macht auf die Unterstützung durch die Stadt aufmerksam. In den kommenden Monaten sollen mit den neuen Pizzaboxen von Recircle zudem auch noch die Pizzerien in Uster Teil des Netzwerks werden.

«Das Verzichten, Vermeiden und Wiederverwenden kommen vor dem Recycling. Wenn weniger Produkte hergestellt werden müssen, werden viel effektiver Ressourcen und Energie eingespart. Dazu möchte die Stadt Uster einen Beitrag leisten», sagt Sarina Laustela, Leiterin Abfallbewirtschaftung und Umwelt der Stadt Uster.

Unterstützung von Energiestadt

Der Trägerverein Energiestadt unterstützte im Jahr 2022 diese zwei Initiativen und zwei weitere in Kloten (suffiziente Raumnutzung) und Wädenswil (Suffizienz in der städtischen Mobilität) und zeigte durch das Projekt, wie Suffizienz als strategischer Ansatz in die Praxis von Schweizer Gemeinden übersetzt und konkretisiert sowie positiv besetzt werden könnte. Der Trägerverein Energiestadt vermittelte dabei den Pilotgemeinden das nötige Rüstzeug, um Suffizienz als Strategie in ausgewählten Sektoren anzugehen und dazu zu kommunizieren. Um förderliche Rahmenbedingungen für Suffizienz in weiteren Gemeinden zu schaffen, hat Energiestadt einen Handlungsleitfaden entwickelt, der auf der Website von Energiestadt frei zur Verfügung steht.

Die Zusammenarbeit mit den vier Gemeinden zeigte, dass viele Suffizienzmassnahmen zwar bekannt sind, die Umsetzung, Skalierung sowie Übertragung auf andere Gemeinden aber mit zahlreichen Hürden behaftet ist. Mit dieser Schwierigkeit vor Augen wird sich der Trägerverein Energiestadt gemeinsam mit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in den kommenden drei Jahren der Frage widmen: Wie können bestehende und neue Suffizienzmassnahmen eine Breitenwirkung erzielen und gängige Hürden erfolgreich gemeistert werden?

Dabei werden Gemeinden bei der Umsetzung, Evaluation und Skalierung von Suffizienzmassnahmen durch Fachexpertise, Unterstützung in der Kommunikation (bspw. mit Videos) und gezielter Begleitforschung durch die ZHAW zu Akzeptanz und Wirkung unterstützt. So sollen konkrete Suffizienzmassnahmen getestet und ausgewertet werden. Eine «Praxistoolbox für Gemeinden» soll mittelfristig das in den Pilotgemeinden entstandene und bestehendes Wissen aus Forschung und Praxis bündeln, sodass eine Skalierung und Übertragung von Massnahmen auf weitere Gemeinden in der ganzen Schweiz erleichtert wird. Dieses Projekt wird von der Stiftung Mercator finanziert und ermöglicht die Unterstützung von bis zu acht Gemeinden.

Valentin Pfäffli
Projektleiter Energiestadt