Normal ist, was den Betroffenen normal erscheint
Demenz ist eine Herausforderung für Schweizer Pflegeheime. Neue Formen zur Begleitung von Menschen mit Demenz sind gefragt. Das Beispiel des Pflegeheims Lichtblick in Elgg (ZH) zeigt Wege auf.
In der Schweiz leben, laut Alzheimer Schweiz, aktuell etwa 144300 Menschen mit einer Demenz. In 30 Jahren, so die Prognose, wird sich diese Zahl aufgrund des demografischen Wandels und weil es immer mehr ältere Menschen geben wird, mehr als verdoppeln. Schliesslich ist das Alter der grösste Risikofaktor für eine Demenzerkrankung.
In Pflegeheimen waren 2012, laut einer Studie von Guido Bartelt, rund zwei Drittel der Bewohnenden von Demenz betroffen. Dieser Anteil wird heute bereits höher sein. So haben zum Beispiel Untersuchungen des Netzwerkes Zürcher Pflegezentren (VZK) im Jahr 2018 gezeigt, dass gegen 70 Prozent der Bewohnenden neurokognitiv beeinträchtigt sind.
Menschen mit Demenz haben Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis, können Handlungsabläufe nicht mehr selbständig durchführen und sind nicht mehr in der Lage, alltägliche Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus zeigen sie aber auch viel häufiger Verhaltensauffälligkeiten wie Herumirren oder unangemessenes Verhalten wie etwa Aggressivität. Dies stellt die Heime vor neue Herausforderungen, auf die sich viele Heimleitungen und Betreuungspersonen ungenügend vorbereitet fühlen.
Neue Anforderungen an die Betreuung
Besser vorbereitet fühlen sich, laut einer Studie von QUALIS evaluation/BFH, Heime, die regelmässig interne und externe Mitarbeiterfortbildungen durchführen sowie über Spezialabteilungen für Menschen mit Demenz und über ein Demenzkonzept verfügen. In diesem Konzept werden Fragen zur Infrastruktur, zu Personalweiterbildungen, zur Finanzierung, aber insbesondere auch wichtige Haltungsfragen im Umgang mit den Betroffenen geklärt. Damit dient es der Qualitätssicherung und -weiterentwicklung und gibt den Fachpersonen Orientierung im Alltag, was einerseits zu einer höheren Lebensqualität der Bewohnenden und andererseits zu einer höheren Mitarbeiterzufriedenheit führt. Ein solches Heim, das auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ausgerichtet ist, ist der «Lichtblick» in Elgg (ZH). Der «Lichtblick» wurde 2004 eröffnet als Projekt der «Gemeinnützigen Stiftung Eulachtal» und bietet seit über 15 Jahren Menschen, die aufgrund ihrer Demenzerkrankung auf eine spezialisierte Wohn- und Betreuungsform angewiesen sind, ein Zuhause. Das modern ausgebaute herrschaftliche Wohnhaus mit grosszügigem Aussenbereich und Garten bietet in 13 Einzel- und Zweierzimmern Platz für 15 stationäre Bewohnerinnen und Bewohner. Damit verfolgt die Stiftung das Ziel, Menschen mit Demenz ein Zuhause auf Lebenszeit zu geben, in dem sie sich wohlfühlen und ihr Leben so leben können, wie sie es möchten und brauchen.
Geborgenheit, Sicherheit und «Normalität»
Infrastruktur, Begleitung und Betreuung, aber auch der Umgang mit den Angehörigen sind, in Orientierung an das Dementia-Care-Label, sorgfältig durchdacht. So werden zum Beispiel die Räumlichkeiten stets den Bedürfnissen und dem Bedarf der Bewohnenden angepasst. Betritt man das Haus, so erinnert nichts an ein Heim. Stattdessen erzählen die Möbel Geschichten aus dem Leben der Bewohnenden. Aber nicht nur die Einrichtung, auch das Verhalten der Mitarbeitenden sowie die Rituale sind darauf ausgerichtet, Geborgenheit, Sicherheit und Normalität zu vermitteln. Dabei wird unter Normalität nicht das verstanden, was die gesellschaftliche Norm ist, sondern normal ist, was für den betroffenen Menschen vor dem Hintergrund seiner individuellen Lebensgeschichte und seiner Wahrnehmung, seiner Gedanken und Gefühle normal erscheint. Dementsprechend wird die Begleitung und Betreuung sehr individuell gestaltet und grossen Wert auf die Selbstbestimmung der Bewohnenden gelegt.
Biografiearbeit sowie der Einsatz von leichter Sprache (vgl. Erklärung im Kasten) sind nur zwei der verschiedenen Methoden, die im «Lichtblick» zu diesem Zweck zum Einsatz kommen. Susanne Böhmler, Leiterin des «Lichtblicks»: «Demenz ist nicht heilbar, aber wir können etwas zur Sicherung der grösstmöglichen Lebensqualität jeder Bewohnerin und jedes Bewohners beitragen, wo nicht die Defizite, sondern das Menschsein im Vordergrund stehen.»
Leichte Sprache für Demenzkranke
Leichte Sprache ist eine besonders einfache Sprache mit kurzen Sätzen und ohne Fremdwörter. Leichte Sprache hilft Menschen, Informationen zu verstehen – etwa Menschen mit Lernschwierigkeiten, Menschen, die nicht so gut lesen können, die die deutsche Sprache nicht gut beherrschen, etwa weil deren Muttersprache nicht Deutsch ist, aber auch älteren Menschen zum Beispiel mit einer Sehbeeinträchtigung oder mit Demenz. Der Zugang zu Information ist eine zentrale Voraussetzung für eine selbstbestimmte Lebensweise und die Teilhabe an allen gesellschaftlichen Teilbereichen. Und nur wer Informationen versteht, kann auch mitreden und für sich wichtige Entscheide treffen.
Nebst leichter Sprache gibt es auch einfache Sprache. Im Unterschied zu einfacher Sprache gibt leichte Sprache klare Regeln vor und ist damit einheitlicher und häufig noch leichter verständlich.
Informationen:
Quellen:
Bartelt Guido (2012) Auswertung von RAI-Daten im Auftrag der Schweizerischen Alzheimervereinigung. Technischer Bericht. St. Gallen.
QUALIS evaluation/BFH (2013): Demenzbetreuung in stationären Alterseinrichtungen. Eine nationale Umfrage von stationären Alterseinrichtungen der deutsch- und französischsprachigen Schweiz, Zürich.
Conceptera ist eine Fachstelle für Konzeptarbeit im Sozialbereich. Nebst Konzeptentwicklungen bietet sie, unter anderem auch zum Thema leichte Sprache, Personalschulungen an: www.conceptera.ch/gemeinden.