Hier befassen sich die Direktbetroffenen selbst mit Fragen der Lebensqualität und Gesundheit im Alter: Blick in ein Treffen des kommunalen «Netzwerks 60+» im Toggenburger Städtchen Lichtensteig.

Partnerschaft bringt Erfolg für Gesundheitsförderung im Alter

18.06.2021
6 | 2021

Gesundheitsförderung erfolgt heute längst nicht nur für, sondern im Zusammenspiel mit älteren Menschen. Das Beispiel der Kleinstadt Lichtensteig im Toggenburg (SG) zeigt, wie das gelingen kann.

Wussten Sie, dass ältere Menschen zwischen 65 und 84 Jahren doppelt so häufig informelle Hilfe leisten, als dass sie Hilfe empfangen? Oder dass 65- bis 74-Jährige häufiger Freiwilligenarbeit leisten als alle anderen Altersgruppen*? Ältere Menschen leisten auf sehr vielfältige Weise einen unverzichtbaren Beitrag an die Gesellschaft, indem sie Bekannte und Nachbarn unterstützen, Angehörige betreuen, Mentorinnen für jüngere Menschen sind oder als Arbeitende und Konsumentinnen an die Volkswirtschaft beitragen.

Ältere Menschen sind auch Partner von Gemeinden.

Ältere Menschen als unverzichtbare Partner der Gemeinden

Den Gemeindeverantwortlichen stehen zahlreiche Partnerinnen und Partner zur Seite, um einen Aktionsplan für ein gesundes Altern zu erarbeiten und umzusetzen. Dazu gehören kommunale und kantonale Fachstellen im Gesundheits- und Sozialbereich, NGOs, medizinische Berufsgruppen – und eben auch die älteren Menschen selbst.

Vielerorts gestalten ältere Menschen bereits aktiv Angebote zur Gesundheitsförderung mit. Sie sind Schlüsselpersonen in der Konzeption, Umsetzung und Evaluation der Gesundheitsförderung im Alter. Für den aktiven Einbezug von älteren Menschen sprechen gute Gründe, unter anderem die erhöhte Wirksamkeit, Chancengerechtigkeit und Legitimität von Angeboten.

Eine wirksame und attraktive Gesundheitsförderung orientiert sich gleichzeitig am objektiven Bedarf aus Fachperspektive (Daten und Fachwissen) und den subjektiven Bedürfnissen der Zielgruppe (Wünsche und Vorlieben). Die Nutzung und Wirkung von Angeboten sind umso grösser, je bedürfnisgerechter und attraktiver sie für die Zielgruppe gestaltet sind. Wer könnte besser wissen, wo die Bedürfnisse liegen und was ankommt als die älteren Menschen selbst?

Ältere Menschen sind eine äusserst heterogene Zielgruppe. Nicht alle älteren Menschen haben die gleichen Bedürfnisse und die gleichen Möglichkeiten, ein gesundheitsförderliches Leben zu führen. Die Partizipation von älteren Menschen hilft dabei, Angebote an der Lebenswelt der Menschen auszurichten und damit die Chancengleichheit zu fördern. Ältere Menschen sind zudem wichtige Multiplikatoren in der Umsetzung, weil sie als Peers einen privilegierten Zugang zu so genannt vulnerablen Personen haben.

Schliesslich lassen sich Angebote gegenüber der Politik und der Bevölkerung besser begründen, wenn sie nicht nur kostenwirksam sind, sondern die Zielgruppen bei dem unterstützen, was ihnen selbst wichtig ist.

Ein konkretes Praxisbeispiel

Die Gemeinde Lichtensteig stellt die Ressourcen von älteren Menschen systematisch in den Mittelpunkt und schafft so einen Paradigmenwechsel zur Defizitorientierung, wie sie in gängigen Altersbildern häufig vorherrscht. Das beginnt auf der strategischen Ebene, wo die Partizipation als zentrales Handlungsprinzip in der Gesamtstrategie der Gemeinde verankert ist. Auf dieser Basis arbeiten ältere Menschen auf Augenhöhe mit Anbietenden und Fachpersonen zusammen und erfahren Wertschätzung und Empowerment.

In der Praxis haben sich verschiedene Formen der Partizipation bewährt:

·     Die Stadt organisiert Beteiligungsanlässe und stellt dafür Räume und Verpflegung zur Verfügung.

·     An mehreren Zukunftskonferenzen und Treffen mit der Bevölkerung (60+) wurden Bedürfnisse abgeholt. Gleichzeitig wurde die Vernetzung mit der älteren Bevölkerung in der Gemeinde gefördert.

·     Darauf aufbauend, entwickeln professionelle Akteurinnen und Akteure gemeinsam mit älteren Menschen konkrete Angebote.

·     Anbietende und ältere Menschen treffen sich regelmässig im kommunalen Netzwerk «Netzwerk 60+ Lichtensteig», um Angebote für die älteren Menschen zu koordinieren (siehe auch: kommunale Netzwerke für Begegnung und Bewegung**).

·     Mit der Genossenschaft «Zeitgut-Toggenburg» fördert die Stadt die Nachbarschaftshilfe, indem sie passende «Gebende» und «Nehmende» in sogenannten «Tandems» zusammenbringt.

Das Beispiel Lichtensteig zeigt, dass sich Partizipation nicht auf Konsultation und Mitbestimmung beschränkt, sondern auch die Selbstorganisation der älteren Menschen umfasst. Um auch Personen ohne Projekterfahrung eine Mitwirkung zu ermöglichen, werden neue Projekte am Anfang durch Fachleute begleitet. Mit der Zeit organisieren sich die Projektteilnehmenden selbst, so wie der Mittagstisch für Senioren und Seniorinnen mit thematischem Input. Auf diese Weise entstanden auch Arbeitsgruppen für drei Schwerpunktprojekte, wobei jeweils eine ältere Person pro Arbeitsgruppe eine Brücke zur Gemeinde schlägt.

Neue Arbeitshilfe für Gemeinden

In einer neuen Broschüre finden kommunale Akteurinnen und Akteure Antworten auf folgende Fragen: Warum lohnt sich Gesundheitsförderung im Alter – für ältere Menschen und für Gemeinden? Was können Gemeinden tun? Wie setzen ausgewählte Gemeinden die Gesundheitsförderung im Alter konkret um?

Die Broschüre bietet Argumente, die den Nutzen der Gesundheitsförderung im Alter belegen. Vier Handlungsfelder bieten einen systematischen Rahmen für die Planung und Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung im Alter.

Die Inhalte wurden gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern von Gemeinden entwickelt.

Die Broschüre heisst «Gesundheitsförderung im Alter lohnt sich! Argumente und Handlungsfelder für Gemeinden und Städte». Sie ist ab ca. Mitte September unter folgendem Link zu finden: https://gesundheitsfoerderung.ch/grundlagen/publikationen/gesundheitsfoerderung-im-alter.html

Dominik Weber
Gesundheitsförderung Schweiz
Projektleiter Programme

Informationen:

* BFS 2021: Unbezahlte Arbeit, https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/unbezahlte-arbeit.html

www.zepra.ch

www.zeitgut-toggenburg.ch

«Nutzen Sie die Ressourcen der Zielgruppen! Gerade die Jungseniorinnen und Jungsenioren haben Lust und Zeit, ihr Wissen und ihre Erfahrungen für die Gemeinschaft einzusetzen. Wir müssen nur die passenden Gefässe schaffen.»

Mathias Müller, Stadtpräsident Lichtensteig