Dieses von einem Murgang beschädigte Haus stand offensichtlich zu nahe am Bach.

Planen und bauen mit Naturgefahren

09.08.2022
7-8 | 2022

Das integrale Risikomanagement hat sich etabliert. Doch bei der Prävention von Elementarschäden an Gebäuden gilt es noch Lücken zu schliessen, damit die Risiken trotz hoher Bebauungsdichte und zunehmenden Wetterextremen tragbar bleiben.

Als Alpenland lebt die Schweiz seit je mit Naturgefahren. Ein Beispiel für das naturgefahrengerechte Bauen zum Schutz vor Steinschlag und Lawinen ist das sogenannte Ebenhöch – Naturgefahren haben nicht nur die Raumplanung, sondern auch die Schweizer Baukultur geprägt. Damit kommt den Gemeinden beim Schutz vor Naturgefahren eine Schlüsselrolle zu.

Von der Gefahrenerkennung zum Risikomanagement

Mit der Ausdehnung des Siedlungsraumes in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Lenkungsbedarf in der Raumplanung immer offensichtlicher. Die besonders gefährdeten Gebiete zu meiden, genügt allerdings nicht: Dies ist spätestens seit den Hochwassern von 2005 und 2007 klar. Auch in Gebieten geringer Gefährdung kann das Schadenpotenzial – und damit das Risiko – erheblich sein.

Es braucht eine ganzheitliche Sichtweise und eine dem Schadenrisiko entsprechende kommunale Bewilligungspraxis, um den Siedlungsraum nachhaltig und möglichst sicher nutzen zu können. In den Baunormen SIA 261 und SIA 261/1 werden konkrete Schutzziele vorgegeben, abgestuft nach Bauwerksklasse und Gebäudenutzung.

Handlungsbedarf beim Schutz von Gebäuden

Über eine Milliarde Franken Gebäudeschäden haben die Unwetter im Sommer 2021 verursacht. Sie übertrafen damit sogar jene der Jahrhunderthochwasser vom August 2005. Auch im langjährigen Durchschnitt liegen die Elementarschäden an Gebäuden in der Schweiz bei rund 300 Millionen Franken pro Jahr – hauptsächlich verursacht durch Hagel, Sturm und Überschwemmungen. Dabei wird etwa jeder zweite Überschwemmungsschaden nicht von ausufernden Bächen, Flüssen oder Seen, sondern von lokalen Starkregen (Oberflächenabfluss) verursacht – also von Wetterereignissen, die schweizweit jederzeit auftreten können.

Die Gefährdungskarte Oberflächenabfluss zeigt, wo sich aufgrund der Topografie und der Beschaffenheit des Bodens besonders viel Wasser ansammeln kann. Damit liegt ein wichtiges Planungswerkzeug vor, das für den Gebäudeschutz ebenso wesentlich ist wie die kantonalen Gefahrenkarten. Der Naturgefahren-Check auf www.schutz-vor-naturgefahren.ch kombiniert sämtliche verfügbaren Gefahren- und Gefährdungskarten in einem Instrument und dient somit als wertvolles Hilfsmittel für die Einschätzung der Gefährdung an jedem beliebigen Standort in der Schweiz.

Prävention hat grosses Potenzial

Die Zunahme der Elementarschäden ist auch der gestiegenen Wertekonzentration und einer zu wenig an die Naturgefahren angepassten Bauweise zuzuschreiben: Gebäude stehen beispielsweise zu nahe am Bach, verfügen über eine sensible Gebäudetechnik, tendenziell hagelanfällige Fassaden und intensiv genutzte Untergeschosse. Auch das klimabedingt häufigere Auftreten von heftigen Stürmen und Starkregen erhöht das Risiko.

Leider werden Naturgefahren bei Bauprojekten oft zu spät erkannt und in der Planung zu wenig berücksichtigt. Viele Schäden sind also sprichwörtlich hausgemacht und könnten mit einer naturgefahrengerechten Bauweise verhindert werden: Eine Schwelle vor der Tiefgaragenzufahrt schützt diese beispielsweise dauerhaft vor Wassereintritt; dieselbe Wirkung haben erhöhte Lichtschächte. Bei Neubauten besonders effizient ist die Erhöhung des gesamten Erdgeschosses mit allen Zugängen über das Niveau der maximalen Überflutungshöhe. Auch die Umgebungsgestaltung bietet grosses Präventionspotenzial, indem das abfliessende Wasser gezielt um das Gebäude herum- und schadlos abgeleitet wird.

Einen besonders positiven Einfluss hat ein wirksamer Hagelschutz, denn bereits kleine, zwei Zentimeter grosse Hagelkörner können grossräumig Lamellenstoren massiv beschädigen. Die konstruktionsbedingt besonders verletzlichen Storen sollten daher bei Hagel immer hochgezogen werden. Am effizientesten gelingt dies mithilfe einer automatisierten Lösung.

Für alle anderen Elemente der Gebäudehülle gibt es inzwischen zahlreiche hagelgeprüfte Bauprodukte verschiedener Hagelwiderstandsklassen im Handel. Dabei empfiehlt es sich je nach Gefährdung, Bauteil und zur Verfügung stehenden Bauprodukten, einen minimalen Hagelwiderstand von HW3 oder HW4 zu wählen, was dem Schutz vor einem drei beziehungsweise vier Zentimeter grossen Hagelkorn entspricht.

Vorausschauend planen und bauen

Naturgefahrensicheres Bauen beginnt mit einer weitsichtigen Planung, die den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes und dessen Umgebung im Blick hat. Sofern Bauherrschaften und Gemeinden frühzeitig an den Gebäudeschutz denken und gemeinsam mit planenden und ausführenden Unternehmen fachübergreifende Lösungen erarbeiten, können nachhaltige bauliche Gesamtlösungen entstehen – vielfach sogar ohne Mehrkosten.

Auf kommunaler Ebene ist eine übergeordnete Perspektive nötig, die den Fokus nicht auf einzelne Gebäude, sondern auf ein umfassendes Schutzkonzept für ganze Areale und Quartiere legt. Eine ganzheitliche Betrachtungsweise über die Parzellengrenzen hinaus ist für Gemeinden unabdingbar. Präventive Vorkehrungen von Privaten gemeinsam mit der öffentlichen Hand schaffen so einen wichtigen Beitrag zu mehr Sicherheit für alle.

Benno Staub
Vereinigung Kantonaler Feuerversicherungen (VKF)
Bereichsleiter Naturgefahren-Prävention

Informationen:

Der Naturgefahren-Check auf www.schutz-vor-naturgefahren.ch unterstützt Bauherrschaften, Planende und Behörden bei einer standortbezogenen Gefahrenabklärung und empfiehlt geeignete Schutzmassnahmen.