Mitglieder einer Selbsthilfegruppe haben weniger Schuldgefühle und fühlen sich mit einer schwierigen Situation nicht allein gelassen.

Selbsthilfe fördert die Selbstbestimmung

20.05.2021
5 | 2021

In Selbsthilfegruppen schliessen sich Menschen, die sich in der gleichen Lebenssituation befinden. zusammen, um sich gegenseitig zu helfen. So vielfältig die Menschen sind, so vielfältig sind die Selbsthilfegruppen. Schweizweit gibt es über 2500 Gruppen zu über 200 Themen.

In Selbsthilfegruppen kommen Angehörige und Betroffene jeden Alters zusammen.  Von A wie Angststörungen bis Z wie Zöliakie ist für jedermann und jedefrau etwas dabei. Alltägliche Probleme als Folge einer schwierigen Lebenslage gemeinsam zu meistern, ist nämlich einfacher, als wenn man auf sich alleine gestellt ist. Die Selbsthilfe lebt von der gesunden Mischung aus Solidarität und Selbstverantwortung.

Selbsthilfe wirkt

Warum und wie wirkt Selbsthilfe denn eigentlich? Betroffene bzw. Angehörige können sich mit Personen austauschen, die unter der gleichen Erkrankung bzw. dem gleichen Problem leiden. Dies vermittelt nicht nur ein Gefühl des Verstandenwerdens, sondern man hilft sich zudem gegenseitig mit praktischen Tipps und aufmunternden Worten. Aktiv in der Selbsthilfe zu sein, bedeutet also, Teil einer Gemeinschaft zu werden.

Eine Studie* untersuchte den Nutzen und die Grenzen der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Die Wirkungen, welche die Mitglieder einer Teilnahme beimessen, entsprechen den von ihnen erwähnten Bedürfnissen und werden von den Fachpersonen nahezu vollumfänglich bestätigt. Durch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe fühlen sich die Mitglieder besser. Sie haben weniger Schuldgefühle und fühlen sich mit einer schwierigen Situation nicht allein gelassen. Praktische Lösungen werden gefunden. Für einige bedeutet die Teilnahme auch, die Situation selbst in die Hand zu nehmen und sie nicht einfach zu erleiden. Wirkung entfaltet die Beteiligung auch auf die Beziehung mit anderen. Die Gruppenteilnehmenden verbessern ihre Beziehungen mit ihren Nahestehenden. Es werden untereinander neue Beziehungen geknüpft. Die Beziehungen zu den Fachleuten verbessern sich durch gezielteres Nachfragen und das vermehrte Treffen von eigenen Entscheidungen.

Gesellschaftlich relevant

Aus Sicht der Fachpersonen kommen auch Wirkungen auf die Gesellschaft als Ganzes hinzu.  Die Unterstützung von Selbsthilfegruppen sollte als gesundheitlich relevante Präventionsmassnahme gefördert werden. Sie vertreten die Ansicht, dass die Selbsthilfe einen ergänzenden Ansatz zu den Interventionen der Fachleute darstellt, aber gegenwärtig nicht ausreichend von den medizinischen und sozialen Bereichen gefördert wird, obwohl von einem finanziellen Nutzen in Bezug auf die Gesundheitskosten auszugehen ist. Die Tatsache, dass die meisten Selbsthilfegruppen wenig institutionalisiert sind, bedeutet nicht, dass sie bezüglich ihrer behandelten Problematiken losgelöst von den Fachbereichen Medizin, Psychiatrie oder Sozialwesen funktionieren. Die nahezu gleiche Einschätzung der Wirkungen zeigt, dass ein gewinnbringender Austausch zwischen Selbsthilfegruppen und den fachlichen Bereichen herrscht.

Die Selbsthilfe wirkt folglich auf das Individuum, das sich in einer Selbsthilfegruppe engagiert. Durch den Erfahrungsaustausch wird die Selbstmanagementfähigkeit gestärkt, das eigene Handeln gefördert.

Wichtiger Pfeiler der Gesundheitsversorgung

Durch die psychosoziale Wirkung des Erfahrungsaustausches mit anderen Betroffenen und Angehörigen kann die gemeinschaftliche Selbsthilfe sowohl in der Prävention wie auch in der Nachsorge bei somatischen und psychischen Erkrankungen eine tragende Rolle übernehmen. Um Menschen auch direkt im Spital abzuholen, hat Selbsthilfe Schweiz gemeinsam mit den regionalen Selbsthilfezentren das Projekt «selbsthilfefreundliche Spitäler» entwickelt. Mit Kooperationen sollen selbsthilfefreundliche Spitalstrukturen erschaffen werden – dies auf Augenhöhe und gemeinsam mit Betroffenen und deren Angehörigen.

Unterstützung der Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen

In der Schweiz gibt es 20 regionale Selbsthilfezentren. Sie gewährleisten den Überblick über bestehende und geplante Selbsthilfegruppen ihres Zuständigkeitsgebietes und sind Anlauf-, Informations- und Beratungsstellen für und über Selbsthilfegruppen. Die Mitarbeitenden verstehen sich als Wegbereitende für den Aufbau und die Begleitung von Selbsthilfegruppen. Sie unterstützen Betroffene, Angehörige wie auch Fachpersonen rund um das Thema der Selbsthilfe.

Mehr Informationen unter: www.selbsthilfeschweiz.ch/regionen

Sarah Wyss
Geschäftsführerin Selbsthilfe Schweiz 

Informationen:

* Lanfranconi ed al., Hogrefe Verlag 2017

Selbsthilfefreundliche Spitäler: www.selbsthilfefreundlichkeit.ch

Gefragte Angebote der Selbsthilfe: zum Beispiel im Kanton Thurgau

«Ich halte die verordnete Zurückgezogenheit nicht mehr aus! Besteht eine Gruppe für das Thema Angst?» Diese Worte einer Person am Telefon lassen spüren, wie die momentanen Belastungen auf psychischer Ebene zunehmen. Dank der Ausnahmeregelung des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) sind Gruppentreffen wieder möglich für Selbsthilfegruppen schweizweit.

Das Team Selbsthilfe Thurgau vermittelt Kontakte zu bestehenden Gruppen oder unterstützt bei Neugründungen. Über 80 Gruppen existieren im Thurgau. Beispiele von Themen

-        Depression für Betroffene oder Angehörige

-        Atemnot, Gruppe mit CPD, Allergien, etc.

-        Hochsensibilität

-        Angst&Panik

-        soziale Ängstlichkeit gibt es Gruppen

-        Endometriose

-        Stoma

-        Co-Abhängigkeit

In Zusammenarbeit mit Clienia AG bietet Selbsthilfe Thurgau den Trialog «Mit Krisen umgehen» und den Trialog «Essstörungen» je als sechsteilige Abendreihe an. Ein Team von Peers bietet das Seminar «Recovery – der eigene Genesungsweg» an.

Ob real oder virtuell: reden hilft

«Das virtuelle Treffen gestern Abend war erfolgreich.  Ich denke, es hat allen gut getan! Wir haben ein weiteres Treffen abgemacht.» Ob real oder virtuell, reden hilft!

Die Bestrebungen, virtuelle Treffen im Kanton zu ermöglichen, laufen und werden unterschiedlich genutzt. Selbsthilfe Schweiz stellt virtuelle Treffen für die gesamte Schweiz zur Verfügung.

Eine Betroffene berichtet

Die Selbsthilfegruppe für Mütter und berufstätige Frauen mit einer onkologischen Erkrankung wurde auf  Wunsch von Betroffenen vor drei Jahren durch die Thurgauische Krebsliga gegründet.

«Wir sind eine bunt zusammengewürfelte, aufgestellte Gruppe von mehrheitlich brustkrebserkrankten Frauen aus dem ganzen Kanton Thurgau. Jeweils am letzten Mittwoch im Monat treffen wir uns in Weinfelden um uns auszutauschen. Viele Themen haben in unserer Gruppe Platz, da wir alle dieselbe Sprache sprechen und wir alle wissen, was die Diagnose Krebs bedeutet. Ich selbst bin vor ein paar Jahren an Brustkrebs erkrankt und habe die Leitung dieser Gruppe seit Kurzem inne.

Besondere Schwerpunkte sind z.B., wie wir Familie, Beruf und Krankheit unter einen Hut bringen und wie wir achtsam unsere Kräfte einteilen können. Bei fachspezifischen Fragen steht uns auch immer wieder unsere tolle Beraterin der Thurgauischen Krebsliga, Sylvia Perez, zur Seite.

In diesem Jahr war es für alle schwierig, als wir uns nicht mehr unbeschwert treffen konnten wegen der Pandemie. Doch die erstbeste Möglichkeit nach dem Lockdown nutzten wir für ein Treffen im Freien mit einem Spaziergang. Das Wetter war uns wohlgesinnt, und die Sonne wärmte unsere Herzen, und viel Lachen hatte Platz. Da wir eine kleine Gruppe sind, können wir uns auch jetzt mit den nötigen Massnahmen monatlich treffen und spüren, wie gut uns dies tut!

Es stossen auch neue Frauen dazu, was zeigt, wie wichtig solche Treffen sind, an denen man sich verstanden fühlt.

Katharina Schär

 

Regina Pauli
Geschäftsführerin Selbsthilfe Thurgau