«Sprache hilft uns, uns besser kennenzulernen»
Das «Forum per l’italiano in Svizzera» gewinnt den diesjährigen Föderalismuspreis. Es fördert die italienische Sprache und Kultur im Rahmen der schweizerischen Mehrsprachigkeit. Interview mit Diego Erba, dem Koordinator des Forums.
Die Kenntnis der Landessprachen wird in der Schweiz nicht nur gefördert, sondern ist auch gesetzlich verankert. Die Mehrsprachigkeit ist in der Verfassung festgeschrieben und für zahlreiche Menschen im Land Alltag. Das «Forum per l’italiano in Svizzera» setzt sich für die Position des Italienischen im Rahmen der verfassungsmässig festgeschriebenen Mehrsprachigkeit in der Schweiz ein. 2012 gegründet, gehören dem Forum heute 38 Organisationen an, die sich für das Italienische engagieren.
Diego Erba, welche Ziele verfolgt das «Forum per l’italiano in Svizzera»?
Diego Erba: Das Forum hat zum Ziel, die italienische Sprache und ihre Kultur ausserhalb der italienischen Schweiz zu fördern. Tatsächlich leben die meisten Italienischsprachigen jenseits des Gotthards. Um über aktuelle Daten zu verfügen, hat das Forum 2019 die Studie «Die Stellung des Italienischen in der Schweiz» lanciert, welche die Entwicklung des Italienischen im Rahmen der schweizerischen Mehrsprachigkeit von 2012 – dem Gründungsjahr des Forums – bis 2020 nachzeichnet. Die Resultate sind ambivalent. In der Deutschschweiz und in der Romandie müssen die Anstrengungen verstärkt werden, damit das Italienische als dritte Landessprache nicht in Vergessenheit gerät.
Dieses Jahr hat das Forum den Föderalismuspreis der ch Stiftung erhalten, der jedes Jahr an eine Persönlichkeit oder Organisation vergeben wird, die dazu beiträgt, den Föderalismus und den nationalen Zusammenhalt zu stärken. Was bedeutet dieser Preis für die Tätigkeit des Forums?
Der Preis für Föderalismus ermutigt uns, unsere Arbeit mit Entschlossenheit fortzusetzen. Denn wie die Jury der ch Stiftung schrieb, belohnt diese Auszeichnung «den Beitrag der italienischsprachigen Bevölkerung zum nationalen Zusammenhalt, der jeden Tag Brücken zwischen den Sprachen und Kulturen in allen Teilen des Landes baut».
Ist das Forum auch auf der kommunalen Ebene aktiv?
Im Bereich der Bildung können auch die Gemeinden bei der Förderung des Italienischen eine Rolle spielen. In der Schweiz geniessen Gemeinden und Kantone bei der obligatorischen Schule eine gewisse Autonomie. Ausserhalb der italienischen Schweiz sind sie für das Angebot von fakultativen Italienischkursen für die Schülerinnen und Schüler zuständig. Das Lernen der Landessprachen fördert bei den Jugendlichen die Mehrsprachigkeit und hilft, dass sich die verschiedenen Sprachgruppen untereinander besser kennenlernen. In diesem Sinne können die Gemeinden viel dafür tun, dass die Landessprachen – und nicht nur Englisch! – unterrichtet werden.
Weiter stellen die Gemeinden Unterrichtsräume bereit für Italienischkurse, die von den italienischen Behörden gefördert werden und an denen jedes Jahr mehr als 10 000 Personen teilnehmen.
Wie steht es um das Unterrichten der italienischen Sprache in der Schweiz?
Die Kantone Tessin und Graubünden unterrichten Italienisch bereits auf der Primarschulstufe. In den anderen Kantonen ist der Italienischunterricht in der Regel fakultativ auf Sekundarschulstufe I, das heisst in den letzten Jahren der obligatorischen Schulzeit.
Die interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS), die 2009 in Kraft getreten ist, sieht einen angemessenen fakultativen Unterricht einer dritten Landessprache während der obligatorischen Schulzeit vor. Was das Italienische betrifft, wird diese Vorschrift nicht immer eingehalten. Von den Kantonen, die HarmoS beigetreten sind, gibt es einige, die den Italienischunterricht gar nicht anbieten, und andere, die dessen Organisation an die Schulen delegieren. Es kann vorkommen, dass Schulen keinen Italienischunterricht anbieten, weil sich dafür nicht genug Schülerinnen und Schüler angemeldet haben – dies auch aus finanziellen Gründen.
Auf Sekundarstufe II, also in den Gymnasien, muss Italienisch als Schwerpunktfach angeboten werden, dies gemäss der Verordnung über die Anerkennung von gymnasialen Maturitätsausweisen. In der Romandie wird dies umgesetzt, aber in fast einem Drittel der Gymnasien in der Deutschschweiz nicht.
Im Bereich der Berufsbildung nehmen mit Ausnahme des Tessins und Graubündens nur wenige Kantone Italienisch in ihre Lehrpläne auf, was den Sprachaustausch unter den Lehrlingen nicht fördert.
Die digitale Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern wird immer wichtiger. Kann der Zugang der Minderheitensprachen zu den Kommunikationskanälen von Behörden und Institutionen verbessert werden?
Für eine Antwort genügt ein Blick auf die Websites des Bundes und der Kantone. Nicht alle Seiten der Bundesverwaltung sind komplett auf Italienisch übersetzt. Der Bundesrat hat kürzlich erklärt, dass auch die Eidgenössischen Technischen Hochschulen und die ihnen angeschlossenen Institute in Übereinstimmung mit dem Sprachengesetz alle oder einen Teil der Informationen auf ihren Websites auch auf Italienisch zugänglich machen müssen.
Auf den Webauftritten der Kantone haben die dortigen Amtssprachen natürlich Priorität. In Graubünden, wo Italienisch Amtssprache ist, existiert eine italienische Version der Kantonswebsite. Auch Basel-Stadt und Zug bieten Informationen in allen drei Landessprachen und auf Englisch an.
Ganz allgemein möchte ich an den im September erschienenen Bericht des Europarats über die Einhaltung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in der Schweiz erinnern. Er stellt fest, dass «die Schweiz weitere Massnahmen ergreifen muss, um die Verwendung der italienischen Sprache im wirtschaftlichen und sozialen Leben, einschliesslich des öffentlichen Sektors, zu fördern». Das bedeutet, dass Bund, Kantone und Gemeinden noch mehr tun können, und dies besser.
Föderalismuspreis der ch Stiftung
Die ch Stiftung vergibt den Föderalismuspreis an Persönlichkeiten oder Organisationen, die sich in der Politik, im zivilen Bereich, in der Wissenschaft oder in der Kultur besonders stark für die föderale Schweiz einsetzen. Der mit 10 000 Franken dotierte Preis wird seit 2014 jedes Jahr vergeben; seit 2021 auf der Grundlage einer Aufforderung zur Einreichung von Bewerbungen. Ab sofort können Bewerbungen für die zehnte Verleihung im Jahr 2023 eingereicht werden, um in die Fussstapfen des Circus Knie, von Arnold Koller, des Projekts easyvote und des «Forum per l’italiano in Svizzera» zu treten. Die Bewerbungen können bis zum 28. Februar 2023 über die Website der ch Stiftung eingereicht werden. Nominationen sind ebenso möglich und willkommen. Eine Jury mit Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Kultur wird die Finalistinnen und Finalisten auswählen und anschliessend den Preis an die beste Bewerbung vergeben.
Nationale Minderheitensprachen
Die Kantone Tessin und Graubünden umfassen das Gebiet der nationalen Minderheitensprachen Italienisch und Rätoromanisch. Italienisch ist in beiden Kantonen Amtssprache, in Graubünden neben Rätoromanisch und Deutsch. Die Regierung des Kantons Graubünden hat eine Reihe von Massnahmen ergriffen, um die Dreisprachigkeit des Kantons zu stärken und das Romanische und Italienische zu fördern. Eine dieser Massnahmen ist die Einrichtung der Fachstelle «Mehrsprachige Verwaltung» im Jahr 2021, dessen Hauptziel die Stärkung der Mehrsprachigkeit in der kantonalen Verwaltung ist. Diese Fachstelle berät auch Externe, einschliesslich Gemeinden, in Fragen der Umsetzung des Sprachengesetzes.