Frauenfeld (TG) geht in der Sanierung der Strassenräume neue Wege.

Stadt Frauenfeld: Planungssicherheit dank Partizipation auf Augenhöhe

06.03.2024
3 | 2024

Entwicklungsprojekte umzusetzen, ist anspruchsvoll. Bei Planungen im bestehenden Siedlungsraum werden die Spannungsfelder stetig grösser, und die Gesellschaft ist oft kritischer eingestellt. Der Bevölkerungsdialog über eine informelle Partizipation ermöglicht es, diesen neuen Realitäten gerecht zu werden. Um Planungssicherheit für Projekte in der Innenstadt zu gewinnen, stellt Frauenfeld (TG) in Absprache mit dem Kanton den Planungsprozess auf den Kopf: zuerst der Kredit, dann das Projekt.

Die Stadt Frauenfeld (TG) wollte die Sanierungen wichtiger Strassen nutzen, um diese aufzuwerten und siedlungsverträglicher zu gestalten. Wegen der begrenzten Platzverhältnisse und der rechtlichen Vorgaben waren Interessenkonflikte vorprogrammiert. Mit einem klassischen Projektablauf und einer Volksabstimmung nach langer Planung drohten sowohl die Blockade der Sanierungsarbeiten als auch der Verlust zugesagter Bundesgelder. Um Planungssicherheit zu gewinnen, einigten sich Stadt und Kanton darauf, den Planungsprozess umzukehren.

Mehrstufiges Vorgehen schafft Akzeptanz

Mit der Grundsatzabstimmung «Strassenraum ist Lebensraum» klärte der Stadtrat früh, ob die Bevölkerung bereit ist, einen Bruttokredit in der Höhe von 11,3 Millionen Franken für die Aufwertung und Sanierung der Strassenräume in der Frauenfelder Innenstadt zu sprechen.

Parallel dazu stimmte die Bevölkerung über eine autofreie Altstadt ab. Solche hochpolitischen Fragen lassen sich aus Akzeptanzgründen nur an der Urne klären. Zudem sollten über einen Partizipationsprozess die Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung in die Projektentwicklung einfliessen. Die Stimmbevölkerung bewilligte den Kredit und lehnte eine autofreie Innenstadt ab.

In der Folge klärte die Stadt mit der Stufe 1 der Mitwirkung, was die Bevölkerung unter «Strassenraum ist Lebensraum» versteht. Mehrere Massnahmen aktivierten die Menschen: Flyer in alle Haushalte, Plakate, Briefe an Direktbetroffene, Pop-up-Labor auf der Strasse, Kinder- und Jugendrat, digitale Mitwirkungsplattform.

Der Vergleich der aktuellen Situation mit den Erwartungen der Bevölkerung sowie der Fachexpertenempfehlung zeigte die Spannungsfelder auf und schaffte die nötige Transparenz für die Mitwirkungsstufe 2.

Eine Broschüre fasste alle Inhalte zusammen und rief alle Einwohnenden dazu auf, den Informationsanlass zu besuchen und die Mitwirkungsmöglichkeiten im Stadtlabor oder über die Onlineplattform zu nutzen. In den Räumen des Stadtlabors konnten Privatpersonen, Interessengruppen und Parteien mit Fachplanern und Mitgliedern des Stadtrates diskutieren und ihre Meinung abgeben.

Die Erkenntnisse und Folgerungen der Stufe 2 wurden in einer Resultatbroschüre gebündelt. Sie sind Teil der Projektaufträge für die einzelnen Strassenabschnitte, die zeitlich unabhängig voneinander ablaufen.

In der Mitwirkungsstufe 3 wird jeder Strassenabschnitt in Workshops mit Direktbetroffenen optimiert. Die daraus resultierenden Auflageprojekte unterliegen den normalen Rechtsmittelverfahren.

«Planungsprozesse müssen dem Wandel der Gesellschaft Rechnung tragen, um Mehrheiten zu finden.»

Andrea Hofmann Kolb, Stadträtin Frauenfeld (TG)

Anspruchsvoller, aber Erfolg versprechender

In klassischen Planungsabläufen erarbeiten die Behörden die Projekte zusammen mit Fachexperten. Die zentralen Entscheidungs­prozesse mit Annahmen und Güterab­wägungen finden sich meist nur in technisch formulierten Projektberichten. Im Abstimmungskampf prallen dann unterschiedlichste Interessen aufeinander, und die Diskussionen verlieren sich häufig in technischen Details.

Die Fundamentalopposition steht gegen den übergeordneten Zweck des Projektes. In Frauenfeld: «Strassenraum ist Lebensraum». Dazu kommt oft eine «Ja, aber…»-Opposition. Bildet sich eine unheilige Allianz zwischen unterschiedlich argumentierenden Lagern, ist ein Scheitern wahrscheinlicher.

Projekte sind immer nur Mittel zum Zweck: Wenn die Bevölkerung den Nutzen eines Projektes nicht sieht, braucht man keinen Lösungsweg zu suchen. Durch ein stufenweises Vorgehen muss sich die Politik bei jedem Projektschritt neu positionieren. Und die Minderheit der Vorstufe bringt sich danach wieder aktiv in den Prozess ein. Nur so lassen sich bestmögliche Lösungen finden.

Zwischenbilanz

Der mehrstufige Planungs- und Mitwirkungsprozess hat sich bewährt. Denn mit jeder Stufe werden die Fragestellungen komplexer. Besonders anspruchsvoll ist die Mitwirkungsstufe 2. Hier kann die Informationsdichte schnell überfordern. Für einen Dialog auf Augenhöhe sind analoge Plattformen wie das Stadtlabor unabdingbar. «Planungsprozesse müssen dem Wandel der Gesellschaft Rechnung tragen, um Mehrheiten zu finden», sagt Stadträtin Andrea Hofmann Kolb, Vorsteherin des Departements für Bau und Verkehr, dazu. 

Eine Herausforderung bildet aber auch der bewilligte Kreditrahmen, der den Handlungsspielraum abschliessend einschränkt. Würden bei der Grundsatzabstimmung zwei oder sogar drei Kreditvarianten, zum Beispiel «minimal», «optimal» und «maximal», vorgelegt, liessen sich auch die finanziellen Rahmenbedingungen gemeinsam diskutieren und festlegen.

Zu einer konstruktiven Mitwirkungsdemokratie

Handlungsspielräume gemeinsam definieren; Kreditbeschlüsse ohne Projekt sind möglich

Spannungsfelder sichtbar machen und transparent lösen

Mit stufenweisen Prozessen die Behörden, Parteien und Interessengruppen stärker in die Pflicht nehmen

Keine perfekten, sondern bestmögliche Lösungen suchen

Christian Hacker
Die Botschafter Kommunikationsagentur
Axel Thoma
Lehrbeauftragter Universität St. Gallen