Wer soll entscheiden, ob Tempo 30 gilt – der Bund oder die Gemeinden?

Tempo 30 – oder wenn der Bund die Gemeindeautonomie ausbremst

10.08.2025
7-8 l 2025

Artikel 50 der Bundesverfassung garantiert, dass der Bund in seinem Handeln die Anliegen der Gemeinden berücksichtigt und deren Autonomie achtet. Doch noch allzu oft werden die Gemeinden mehr als Vollzugsorgane denn als gleichwertige Staatsebene behandelt. So auch beim Thema Tempo 30, wo es aus Sicht der kommunalen Ebene nicht um politische Couleur geht, sondern schlicht um die Frage, wer am besten entscheiden kann, wo Geschwindigkeitsbegrenzungen Sinn machen.

Im Dezember 2021 reicht Peter Schilliger im Parlament eine Motion ein. Der Luzerner Nationalrat sorgt sich um die «Hierarchie des Strassennetzes». Mit seinem Vorstoss will er erreichen, dass auf verkehrsorientierten Strassen innerorts – im Gegensatz zu den siedlungsorientierten Strassen, die durch die Quartiere führen – grundsätzlich Tempo 50 gilt. Zwar sollen Ausnahmen weiterhin möglich sein, doch anhand welcher Kriterien diese definiert werden sollen, geht aus der Motion nicht hervor.

Bereits damals fragte sich der Ständerat und spätere Präsident des Schweizerischen Gemeindeverbands (SGV) Mathias Zopfi im Rahmen der Debatte: «Kann man (nach Annahme der Motion, Anm. der Redaktion) auf kommunaler Ebene Sicherheitsaspekte, Lärmaspekte und die allgemeine Verkehrssituation überhaupt noch berücksichtigen?» Für Mathias Zopfi war klar, dass eine Einzelfallprüfung vor Ort bei Weitem mehr Sinn machen würde, als vom Bundeshaus aus starre Regeln festzulegen.

Bereits heute gilt grundsätzlich Tempo 50

Zur Illustration führte er das Beispiel seines Wohnorts Engi in der Gemeinde Glarus Süd an: Auf der Dorfstrasse gilt heute Tempo 40. Gleichzeitig gilt auf einem Abschnitt, der zwei Dorfteile verbindet, Tempo 70. Nimmt man die Motion genau, müsste man im einen Fall die Geschwindigkeit erhöhen und im andern auf Tempo 50 drosseln. Ein Unding – oder wie Zopfi diplomatischer sagt: «Ich will nicht, dass der Bund meinem Gemeinderat reinredet, wie er die Geschwindigkeit in Engi regulieren muss.»

«Ich will nicht, dass der Bund meinem Gemeinderat reinredet, wie er die Geschwindigkeit in Engi regulieren muss.»

Ständerat Mathias Zopfi, Präsident Schweizerischer Gemeindeverband

Zopfis Bedenken verhallten indes ungehört: Im Frühling 2024 stimmte der Nationalrat der Motion Schilliger als Zweitrat zu. Nun liegt es am UVEK, das Strassenverkehrsgesetz so zu «ändern», dass die «Hierarchie des Strassennetzes» gesichert wird. «Ändern» in Anführungszeichen, weil eigentlich bereits heute grundsätzlich Tempo 50 gilt. Das Vorhaben, das Bundesrat Albert Rösti über die Änderung der Signalisationsverordnung erreichen möchte, hat ihm zu Beginn des Sommers harsche Kritik eingebracht, da gegen eine Verordnung – im Gegensatz zu einem Gesetz – kein Referendum ergriffen werden kann.

Vorstoss führt zu Tempo-30-Moratorien

Szenenwechsel. Malters, Kanton Luzern: Im Dorfzentrum zwischen Restaurants, Einkaufsläden, einem Schulhaus und mehreren Fussgängerstreifen ist es auf verkehrsorientierten Strassen verschiedentlich zu Zwischenfällen gekommen. Der Kanton hat die neuralgische Kreuzung deshalb als sogenannten Unfallschwerpunkt klassifiziert. Für den zuständigen Gemeinderat Marcel Lotter ist klar: «An diesem Verkehrsknoten ist die Einführung von Tempo 30 die einzige Möglichkeit, um die Sicherheit zu verbessern.»

Ende Juni 2025 war es so weit, und der Kanton als Strasseneigentümer legte die Pläne für die Temporeduktion öffentlich auf. Betroffen sind Abschnitte zweier Kantonsstrassen und einer Gemeindestrasse. Falls keine Beschwerden mehr eingehen, steht dort der Einführung von Tempo 30 nichts mehr im Wege. Anders sieht die Sache bei einem weiteren Strassenabschnitt, der an einem anderen Schulhaus vorbeiführt, aus. Nachdem eine kantonale Motion zum Thema Tempo 30 angenommen wurde, hat der Kanton Luzern ein Tempo-30-Moratorium verhängt, bis die Sache gesetzgeberisch geklärt ist. Auf nationaler Ebene ist es – hier infolge der Motion Schilliger – auch in anderen Kantonen zu ähnlichen Moratorien gekommen.

 Wie es weitergeht, ist offen

Marcel Lotter, seit 24 Jahren im Gemeinderat von Malters, sieht diese Entwicklung kritisch: Auf den vom Kanton finanzierten Kantonsstrassen könne er nachvollziehen, dass der Kanton über Tempo 30 oder 50 entscheiden wolle. In Luzern allerdings verfügt der Kanton auch für die von den Gemeinden finanzierten Gemeindestrassen erster Klasse über diese Kompetenz. «Ob das richtig ist, wage ich zu bezweifeln», sagt Lotter. Und er wendet ein: Hätten Gemeinden etwa die Möglichkeit, statt Tempo 50 oder 30 auch Tempo 40 festzulegen, würden viele der typischen Widerstände wegbrechen. «Wenn eine Gemeinde, und damit meine ich die Mehrheit der lokalen Bevölkerung, dies möchte, müsste es doch möglich sein, eine Temporeduktion umzusetzen.»

«Wenn eine Mehrheit der lokalen Bevölkerung dies möchte, müsste es doch möglich sein, eine Temporeduktion umzusetzen.»

Marcel Lotter, Gemeinderat Malters (LU)

Wie es mit der Gemeindeautonomie punkto Festsetzen von Tempolimits in Malters und anderswo nun weitergeht, ist aufgrund der Vorstösse auf kantonaler und Bundesebene noch unklar. Aus Sicht von SGV-Präsident Mathias Zopfi steht jedoch fest: «Wir sind hier nicht in Frankreich, sonst würde man das vielleicht von Paris aus machen. Wir sind in der Schweiz, und deshalb müssen wir es nicht von Bern aus machen.»

Fabio Pacozzi
Schweizerischer Gemeindeverband
Leiter Kommunikation