Das ehemalige Hotel Gurnigelbad bietet Platz für bis zu 200 Asylsuchende.

Vom Kurhotel zum Zuhause für rund 120 Asylsuchende

06.10.2023
10 l 2023

Auf der Suche nach Plätzen für Asylsuchende sind derzeit kreative Lösungen gefragt. In Riggisberg (BE) wird seit Anfang Jahr das ehemalige Hotel Gurnigelbad als Asylunterkunft genutzt. Ein Augenschein am Tag der offenen Tür.

Rund 28 000 Asylgesuche erwartet das Staatssekretariat für Migration (SEM) in diesem Jahr, dazu kommen bis zu rund 23 000 Gesuche für den Schutzstatus S von Geflüchteten aus der Ukraine. All diese Menschen müssen untergebracht werden. Die Appelle des Bundes an Kantone und Gemeinden, Unterbringungsplätze zur Verfügung zu stellen, werden dringlicher.

Im Kanton Bern hat die Gemeinde Riggisberg vor einigen Monaten auf den Aufruf des Kantons reagiert. Sie schlug in Absprache mit dessen Besitzer die Nutzung des ehemaligen Hotels Gurnigelbad vor. Anfang Januar 2023 zogen die ersten Flüchtenden ein. Rund 120 Personen im Alter von 18 bis 55 Jahren aus den unterschiedlichsten Ländern leben hier, zumeist junge Männer, viele aus Afghanistan und aus der Türkei. Darunter sind aber auch Familien mit Kindern. Das Rote Kreuz des Kantons Bern betreibt die Unterkunft, die für bis zu 200 Personen Platz bietet.

Ausgelassene Stimmung in der Küche

An einem Samstag im September herrscht hier fröhliche Stimmung. Die Bewohnerinnen und Bewohner und das Team öffnen die Türen für Interessierte, und diese erscheinen zahlreich. In kleinen Gruppen werden die Besucherinnen und Besucher durch die Unterkunft geführt. Los geht es in der Küche, aus der laute lateinamerikanische Musik klingt. Rund ein Dutzend Männer und Frauen sind gerade fleissig am Kochen: Sie bereiten für die Besucherinnen und Besucher ein Buffet mit Speisen aus ihren Heimatländern vor. Ein Mann erklärt in einer Mischung aus Spanisch und Deutsch, was Empanadas sind, eine Spezialität aus Venezuela.   

Impressionen vom Tag der offenen Tür, für den die Asylsuchenden Speisen aus ihren Heimatländern gekocht haben.

Viele der Asylsuchenden im Gurnigelbad sind junge Männer aus Afghanistan und der Türkei.

Zahlreiche Riggisbergerinnen und Riggisberger haben sich die Unterkunft am Tag der offenen Tür angeschaut.

Die Speisen dürften für viele Besucherinnen und Besucher exotisch anmuten.

Geplant, eingekauft und gekocht haben die Asylsuchenden selber.

Die Asylsuchenden kochen in der Unterkunft selbst und kaufen dafür auch selbst ein. Jede und jeder hat zwei abschliessbare Fächer für die Nahrungsmittel; eines davon in grossen Kühlschränken. Für den Tag der offenen Tür hat das Team koordiniert, wer was kocht, erklärt Valentyna Pichler, die Leiterin der Unterkunft. Die Asylsuchenden haben anschliessend selbstständig eingekauft und gekocht – offensichtlich mit grosser Freude, wie die ausgelassene Stimmung in der Küche nahelegt.

Auf der geführten Besichtigung dürfen die Besucherinnen und Besucher auch einen Blick in die Schlafräume der Männer werfen. Kajütenbetten mit weisser Bettwäsche stehen dicht beieinander, die Räume erinnern an Mehrbettzimmer in Hostels. Nur dass die Männer hier nicht nur einige Tage, sondern Wochen oder sogar Monate bleiben. Für die Familien gibt es eigene Zimmer; die Frauen sind in einem gesonderten Teil untergebracht.

Gemeinde organisierte runden Tisch

Drei Kinder aus der Asylunterkunft besuchen derzeit die Schule in Riggisberg. Michael Bürki, Gemeindepräsident von Riggisberg, erzählt, dass die Situation für die Gemeinde nicht neu ist. Bereits 2014 bis 2016 gab es in Riggisberg ein Durchgangszentrum für Asylsuchende. «Als klar wurde, dass im Gurnigelbad eine Unterkunft entsteht, konnten wir vieles aus der Schublade nehmen», erzählt er.

So organisierte die Gemeinde gleich zu Beginn einen runden Tisch mit allen Akteuren: dem Roten Kreuz, Blaulichtorganisationen, der Kirche, dem Sozialdienst, dem Frauenverein und natürlich dem Kanton Bern. Die Bevölkerung wurde ebenfalls rasch informiert, und auch mit dem Supermarkt in Riggisberg nahm die Gemeinde Kontakt auf, damit dieser günstige Artikel ins Sortiment aufnimmt.

«Lieber so als eine unterirdische Unterkunft. In der aktuellen Situation müssen wir nehmen, was wir haben.»

Michael Bürki, Gemeindepräsident Riggisberg (BE)

Kritik am Standort

Besonders am Anfang sei es sehr wichtig gewesen, dass die Gemeinde proaktiv reagiert und sehr offen kommuniziert habe, so Michael Bürki. Das brauche Ressourcen auf der Gemeindeverwaltung. Und klar – nicht alle seien erfreut gewesen. «Die Reaktionen im Dorf waren aber positiver als beim Durchgangszentrum.» Das könnte auch daran liegen, dass im Gurnigelbad viele Bewohnende reelle Chancen haben, in der Schweiz bleiben zu können – was bei den Bewohnenden des früheren Durchgangszentrums anders war. «Das gibt gleich eine ganz andere Stimmung», sagt der Gemeindepräsident.

Kritik gab es vor allem am Standort. Das ehemalige Hotel ist zwar wunderschön im Grünen an der Gurnigelpassstrasse gelegen, aber knapp zehn Kilometer von Riggisberg entfernt. Ein Postauto, das die Bewohnerinnen und Bewohner gratis nutzen können, verkehrt mehrmals pro Tag zwischen dem Zentrum und dem Dorf. «Nach der Kritik haben wir die Anzahl der Verbindungen erhöht», sagt Michael Bürki. Abgelegen sei es, das stimme. «Aber lieber so, als eine unterirdische Unterkunft. In der aktuellen Situation müssen wir nehmen, was wir haben.»

Gurnigelbad: einst ein europaweit bekanntes Kurhotel

In der Umgebung von Gurnigelbad wurden im 16. Jahrhundert schwefelhaltige Quellen entdeckt, denen Heilkraft nachgesagt wurde. Im 19. Jahrhundert war das Kurhotel Gurnigelbad eines der bekanntesten Luxushotels der Schweiz und zog Gäste aus ganz Europa an. Um die Jahrhundertwende bot es Platz für bis zu 600 Gäste. Während des Zweiten Weltkriegs brachen die Besucherzahlen ein, nach dem Krieg beherbergte der riesige Komplex Flüchtlinge. In den 1950er-Jahren wurde ein Grossteil des Hotels bis auf wenige Nebengebäude abgerissen, die anschliessend unter anderem die Armee nutzte. Seit Januar 2023 wohnen hier Asylsuchende.

Gute Zusammenarbeit

Das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure läuft nun gemäss dem Gemeindepräsidenten reibungslos. «Gerade weil wir am Anfang viel investiert haben.» Jetzt fungiere die Gemeinde vor allem als Relais zwischen den verschiedenen Akteuren und sei Anlaufstelle für punktuelle Fragen.

Zentrumsleiterin Valentyna Pichler vom Roten Kreuz bestätigt das: «Die Zusammenarbeit mit der Gemeinde ist wirklich sehr gut.» Es gebe einen regelmässigen Austausch. «Wir haben Glück. Ohne die Mitarbeit der Gemeinde wäre es nicht möglich, so ein Zentrum zu betreiben.» Der Tag der offenen Tür war denn auch eine gemeinsame Idee des Zentrums und der Gemeinde.

«Wir haben Glück. Ohne die Mitarbeit der Gemeinde wäre es nicht möglich, so ein Zentrum zu betreiben.»

Valentyna Pichler, Leiterin des Asylzentrums Gurnigelbad

Valentyna Pichler lobt auch das grosse Engagement der rund 30 Freiwilligen aus Riggisberg und Umgebung, die in der Unterkunft verschiedene Aktivitäten anbieten: «Eine unbezahlbare Leistung.» Viele der Freiwilligen sind an diesem Tag der offenen Tür gekommen. Mittlerweile haben die Asylsuchenden Schüsseln, Platten und Teller voller exotischer Speisen auf einem langen Tisch aufgestellt. Sie erklären den Besucherinnen und Besuchern, was sie gekocht haben, auf Englisch, in gebrochenem Deutsch, mit Händen und Füssen – und einem Strahlen im Gesicht.

Zur aktuellen Migrationslage

Die aktuelle Prognose des Staatssekretariats für Migration (SEM) für das Jahr 2023 rechnet mit rund 28 000 Asylsuchenden und rund 23 000 Schutzsuchenden aus der Ukraine. Der Bund ist für deren Erstunterbringung zuständig. Um die für den Herbst erwartete hohe Zahl von Ankünften zu bewältigen, erweitert das SEM seine Unterkunftskapazitäten. Die Kantone haben zusätzliche Plätze in den Zivilschutzanlagen auf ihrem Gebiet zur Verfügung gestellt, die vom SEM betrieben werden. Auch auf lokaler Ebene ist man stets auf der Suche nach neuen Unterbringungsmöglichkeiten für Personen, die den Kantonen und Gemeinden zugewiesen werden. Wie viele Plätze zur Verfügung stehen, ist sehr unterschiedlich: In einigen Regionen ist die Lage angespannt, in anderen eher entspannt. Zentral ist aus Sicht des Schweizerischen Gemeindeverbands, dass vorzeitige Zuweisungen von Asylsuchenden an die Kantone vermieden werden.

Nadja Sutter
«Schweizer Gemeinde»
Chefredaktorin