Bepflanzte Böschungen statt hohe Zäune: Aus der Versickerungsanlage wurde ein öffentlicher Freiraum.

Wenn Raumplanung die Gesundheit fördert – ein Besuch in Münsingen

05.03.2024
3 | 2024

Martin Niederberger ist seit 2005 Leiter der Abteilung Bau in Münsingen. Seine Arbeit erlebt er als genauso anspruchsvoll wie bereichernd: Es braucht grosses Engagement, politisches Gespür und auch mal Kreativität, um Projekte zum Tragen zu bringen. Inwiefern Raumplanung zur Förderung von Bewegung und Begegnung in der Gemeinde beiträgt und weshalb Münsingen dies beispielhaft vorzeigt, erfahren wir im Interview.

«Münsingen 2030», so lautet der Projektname für die Ortsplanungsrevision, im Zuge derer seit 2018 die gesamte baurechtliche Grundlage überarbeitet wurde. Zonenpläne und Reglemente wurden angepasst und mit den Richtplänen Mobilität, Energie und Landschaft abgestimmt. Hat das Projekt auch Bezug zur Gesundheit? «Das Stichwort Gesundheit kommt im Baureglement nur in einem Artikel zu gebietsfremden Pflanzen vor», erklärt Martin Niederberger, «doch indirekt ist Gesundheit oft betroffen. Letztlich geht es bei der Raumplanung darum, die Lebensqualität in der Gemeinde sicherzustellen». So wird in «Münsingen 2030» die Schaffung von Freiräumen und Treffpunkten gefordert. Sie sind wichtig für die Gesundheit, da sie die Bevölkerung einladen, sich draussen zu treffen und zu bewegen. Eine grüne Umgebung hat weitere Vorteile: Sie fördert Biodiversität und wirkt klimaregulierend. «Wir bringen Klima und Gesundheit zunehmend als Argumente», so Niederberger.

Raumplanung kommt immer am Anfang

«Wir fordern schriftlich ein, was die Menschen sich eigentlich wünschen. Für neue Bauten wird zum Beispiel Spiel- und Aufenthaltsfläche verlangt. Wenn nötig sichern wir sie mit einem Zweckentfremdungsverbot». Mit Hilfe der Raumplanung wird also beeinflusst, dass Aussenräume attraktiv gestaltet und langfristig gesichert werden. Dafür sind Reglemente wichtig: «Die gesetzliche Grundlage ist zentral, sie liefert uns den Hebel zum Eingreifen».

Eine Versickerungsanlage wird zum Begegnungsort

Für eine neue Strasse musste eine Versickerungsfläche erweitert werden. Bisher bestand eine klassische Versickerungsmulde, umgeben von hohen Zäunen. «Wir sagten: Das können wir besser», erzählt Niederberger. Die neue Anlage hat flache Böschungen anstelle der Zäune. Eine Brücke, ein Brunnen und Sitzbänke laden zum Verweilen ein. Heute ist der kleine Park ein beliebter Treffpunkt, beispielsweise fürs Mittagessen. «Ein Teil wurde über den Bau der Strasse finanziert, ein Teil via Abwassergebühren der SBB, die ihr Wasser einleiten darf». So war mehr als die Hälfte der Kosten fremdfinanziert, was die Kreditzustimmung des Gemeinderats erleichterte. «An diesem Beispiel zeigt sich, wie kreativ unsere Arbeit sein kann. Und dass es sich lohnt, früh Einfluss zu nehmen».

Restflächen nutzen

Mit der Sanierung der Kantonsstrasse im Zentrum von Münsingen blieb eine grosse Restfläche übrig. «Es gelang uns, die Fläche ins Eigentum der Gemeinde zu übernehmen». Inmitten des Dorfs entsteht nun ein neuer öffentlicher Freiraum. Ein anspruchsvolles Projekt. «Alle haben eine Idee. Wir müssen verschiedenste Bedürfnisse berücksichtigen». Trotz der Herausforderungen steht mittlerweile ein konsolidiertes Projekt.

Instrumente der Raumplanung nutzen

«Richtpläne als raumplanerische Instrumente sind sehr wertvoll. Mit ihrer Hilfe können wir Synergien nutzen». Niederberger nennt die Gewässer, welche im Richtplan Landschaft geregelt sind. «Eine Gewässeroffenlegung aus dem Nichts ist eine riesige Sache. Doch wenn jemand in der Nähe etwas machen muss, kann man grösser denken.» Dies gelang der Gemeinde Münsingen bereits mehrmals. So gab es Hochwasserprobleme mit einem eingedolten Bach im Dorf. Der Bach konnte aus dem Dorf geleitet, renaturiert und offengelegt werden. Günstige Umstände waren die Mithilfe des Kantons und der Neubau einer Siedlung, für welche gleich der Siedlungsrand gestaltet werden konnte. Ein Teil des Projekts wurde mit Hilfe der Mehrwertabschöpfung aus der Raumplanung finanziert.

Öffnung von Schul- und Sportanlagen

Ein weiteres Mittel zur Förderung von Bewegung und Begegnung: «Alle Schul- und Sportanlagen sind ausserhalb der Schulzeiten konsequent geöffnet, auch am Wochenende. Vor zwei Jahren trafen wir den Entscheid, auch die Areale von Kindergärten zu öffnen. Da war zuvor ein Betretungsverbot». Selbst der Fussballplatz des FC Münsingen ist im Besitz der Gemeinde und steht allen zur Nutzung offen.

Bewegungs- und Begegnungsräume, Klima, Gesundheit: Die Themen haben längst Einzug gehalten in die Raumplanung von Münsingen. «Das braucht grossen Einsatz», meint Niederberger. Und doch lohnt es sich: «Am Schluss geht man an einem schönen Ort vorbei und denkt: Das ist auch ein bisschen wegen mir hier».

Weiterführende Informationen

Bewegungsfreundliches Umfeld – Sammlung von Hilfsmitteln und Instrumenten

Projekte: Gesundheitsförderung Schweiz fördert Projekte, die Bewegungsangebote im öffentlichen Raum anbieten: FriActiv, ZÄMEGOLAUFE, Active City, Hopp-La

Ilona Hannich
Gesundheitsförderung Schweiz
Florian Koch
Gesundheitsförderung Schweiz