Grosse Herausforderung: In der Schweiz müssen 23 000 Bus- und Tramhaltestellen behindertengerecht umgerüstet werden.

Barrierefreier Umbau der öV-Haltestellen fordert die Gemeinden

08.05.2024
5 | 2024

Am 1. Januar 2004 ist in der Schweiz das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) in Kraft getreten. Dieses sieht unter anderem vor, dass innerhalb von 20 Jahren sämtliche öV-Haltestellen barrierefrei ausgestaltet werden sollen. Zu Beginn dieses Jahres ist die Frist nun abgelaufen, und es zeigt sich: Die Komplexität der Projekte sowie die begrenzten finanziellen Mittel stellen die Gemeinden und Städte als typische Haltestelleneigentümerinnen vor grosse Herausforderungen. Ein Überblick.

Ende 2023 waren rund 60 Prozent aller Bahnhöfe barrierefrei ausgestaltet. Bei den strassengebundenen öV-Haltestellen entspricht bislang rund ein Drittel der schweizweit 23 000 Tram- und Bushaltestellen den Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes (BehiG). Diese Zahlen kommunizierten der Verband öffentlicher Verkehr, die Kantone und die Kommunalverbände Ende des letzten Jahres in einer gemeinsamen Medienmitteilung mit der treffenden Überschrift «Viele Fortschritte erzielt, weitere Verbesserungen nötig».

Projekte mit jahrelangem Zeithorizont

Eine Haltestelle hindernisfrei umzubauen, ist eine komplexe Aufgabe. Zuständig dafür sind die Haltestelleneigentümer – beim strassengebundenen öV also die Gemeinden und Städte, aber auch die Kantone. Für die Umrüstung müssen sie zum Teil aufwendige bauliche Massnahmen umsetzen. So muss vielerorts der Randstein erhöht werden, damit der Ein- und Ausstieg möglichst ebenerdig erfolgen kann. Des Weiteren darf der Abstand von der Kante zum Fahrzeug nicht zu gross sein, und die Haltestelle muss genügend Platz aufweisen, damit Rollstuhlfahrende navigieren können. Ebenso weist eine barrierefreie Haltestelle auch taktile Elemente auf, die es Personen mit einer Sehbehinderung ermöglichen, den Einstieg zu finden.

Diese Vorgaben führen dazu, dass der Umbau einer Haltestelle oft zu einem komplexen Projekt wird, dessen Umsetzung sich über Jahre hinziehen kann. Gerade wenn die Platzverhältnisse eng sind. Zudem müssen unter Umständen weitere Aspekte berücksichtigt werden, etwa die Verkehrssicherheit, die Fussgängeranbindung, die Abstimmung mit anderen Bauvorhaben oder allfällige Einsprachen.

Die Portokasse reicht nicht: Kostenfrage ist zentral

«Für uns war es wichtig, den Umbau möglichst im Rahmen von anstehenden Strassensanierungen durchzuführen, denn dann entstehen am wenigsten Zusatzkosten», weiss Markus Eigenmann, Gemeindepräsident von Arlesheim (BL). Die Baselbieter Gemeinde hat deshalb drei ihrer vier bereits umgebauten Bushaltestellen im Rahmen von Strassensanierungen umgerüstet. Zwei weitere folgen in diesem Jahr, während zwei Bushaltestellen nicht mehr umgerüstet werden, da sie innerhalb der nächsten Jahre abgebrochen und andernorts neu erstellt werden – dann natürlich ebenfalls BehiG-konform.

Da die sechs Tramhaltestellen der Gemeinde ebenfalls bereits umgebaut wurden, sind in Arlesheim heute zehn von vierzehn öV-Haltestellen barrierefrei ausgestaltet – deutlich mehr als im nationalen Schnitt. Auch deswegen erhielt die Gemeinde 2022 den Move-Award für Gemeinden und Städte, die sich beispielhaft für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen einsetzen (siehe Beitrag in der Schweizer Gemeinde 1-2/2023).

Neben der Wahl des «günstigsten» Zeitpunkts spielen auch die Kosten eine Rolle. Markus Eigenmann bestätigt: «Dort, wo keine Strassensanierungen anstehen, ist die grösste Herausforderung die Finanzierung. Wir haben uns für eine Staffelung über mehrere Jahre entschieden.» Die Kosten pro umgebauter Bushaltestelle beziffert der Arlesheimer Gemeindepräsident auf 90 000 Franken.

«Für uns war es wichtig, den Umbau im Rahmen von anstehenden Strassensanierungen durchzuführen.»

Markus Eigenmann, Gemeindepräsident Arlesheim (BL)

Nochmals aufwendiger ist es, wenn für die Bereitstellung der Mittel zunächst ein Beschluss des kommunalen Parlaments oder der Stimmbevölkerung vorliegen muss: Erst im vergangenen März musste beispielsweise die Stadtberner Stimmbevölkerung einem Rahmenkredit von 67,5 Millionen Franken zustimmen, mit dem die Stadt nun 94 weitere Tram- und Bushaltestellen barrierefrei umgestalten kann.

Gemeinden müssen Shuttledienst finanzieren

An Haltestellen, die noch nicht barrierefrei genutzt werden können, müssen die strassengebundenen Transportunternehmen derweil Hilfestellungen durch das Personal oder mittels der Beauftragung spezialisierter Taxiunternehmen anbieten. Die Kosten für solche Shuttledienste – im Schnitt zwischen 300 und 500 Franken pro Einsatz – werden von den Haltestellenbesitzerinnen getragen, oftmals also von den Gemeinden und Städten.

Fazit: Vielerorts ist bereits viel geschehen, die Umrüstung sämtlicher öV-Haltestellen bleibt für die Gemeinden und Städte aber herausfordernd. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar – ebenso wie der Umstand, dass es den betroffenen Personen zu langsam geht. Sie haben inzwischen eine Petition lanciert, in der sie fordern, dass der hindernisfreie öV sofort und flächendeckend umgesetzt werden muss.

Fabio Pacozzi
Schweizerischer Gemeindeverband
Leiter Kommunikation